Fegefeuer in Ingolstadt
von Marieluise Fleißer
Im provinziell purgatorisch pubertären Pöbel einer Kleinstadt versucht sich die in den Schulferien vom polemischen Peps geschwängerte Olga zu behaupten. Ihr gegenüber gestellt ist der räudige Roelle, der von seinen Mitschülern malträtiert, um Geld geprellt und von seiner liebessehnsüchtigen Mutter ausgenutzt wird. Schuldlos schuldig prallen diese beiden randständigen Rädchen in einer geißelnden Gesellschaft gegeneinander, ineinander und am Ende vollends voneinander ab. Es ist ein Fegefeuer, in das diese Jugend hier hineinwächst. Die sie umringenden Umstände, das menschliche Miteinander und die unmenschliche Unterwürfigkeit und Hackordnung in bigotten Bereichen können katastrophale Konsequenzen haben. »Fegefeuer in Ingolstadt« – eine abenteuerliche Reise in das Herz einer außergewöhnlichen Stadt: komisch, tragisch, spannend und provozierend.
»Marieluise Fleißer ist die größte Dramatikerin des 20. Jahrhunderts« (Elfriede Jelinek), die damals das frühe Fundament des kritisch dokumentarischen Volksstücks verfasste und späteren Schreiber*innen wie Franz Xaver Kroetz und Rainer Werner Fassbinder einen fruchtbaren Boden bereitete.
Regisseurin Schirin Khodadadian sagt über Fleißers »Fegefeuer«: »Die bodenlose Sehnsucht nach Zukunft, nach Solidarität, nach Zugehörigkeit bricht im Fleißerschen Limbus auch nach fast 100 Jahren erschreckend unerlöst über uns herein - aus allen Zahnlücken pfeifen Bedingungslosigkeit und Ausgrenzung, Einsiedlernaturen und Lokalgrößen; kurz: Lebensgier.«
Bitte beachten Sie, dass bei der Inszenierung »Fegefeuer in Ingolstadt« Stroboskopeffekte zum Einsatz kommen.
mit: Sascha Römisch (Berotter, Mutter), Sarah Horak (Olga), Sarah Schulze-Tenberge (Clementine), Peter Rahmani (Roelle), Enrico Spohn (Protasius, 1. Ministrant), Philip Lemke (Peps, Gervasius, 2. Ministrant), Judith Nebel (Hermine Seitz)
- Regie
- Schirin Khodadadian
- Bühne und Kostüme
- Carolin Mittler
- Musik
- Katrin Vellrath
- Dramaturgie
- Daniel Theuring
- Regieassistenz
- Veronika Jocher
- Ausstattungsassistenz
- Milena Keller
- Inspizienz
- Rowena Haunsperger
- Soufflage
- Maren Molter
- Theatervermittlung
- Julia Pöppich
»Unglaublich präzise hat die Regisseurin mit ihrem Ensemble gearbeitet. Und obwohl es gerade die (Kunst)Sprache der Fleißer ist, die von Kraft und Poesie strotzt und hier mit anmutigem Trotz und großer Kälte zelebriert wird, so passiert vor allem viel in den Gesichtern. Jeder Blick, jede Blickrichtung, jedes Hin-, Weg-, Andersschauen ist von Bedeutung. Die Körper doppeln die Deklamation in grazilen Choreographien. (...) So eindringlich wie drastisch führt uns Schirin Khodadadian die Erbarmungslosigkeit der Täter und die Ohnmacht der Opfer vor Augen – und Gewalt, die neue Gewalt gebiert. Sie zeigt das Parabelhafte von Fleißers Stück. Und dafür steht ihr ein erstklassiges Ensemble zur Verfügung: Sarah Horak als von allen Seiten bedrängte Olga, Peter Rahmani als Roelle mit abstrusem religiösen Größenwahn, Judith Nebel als Hermine Seitz, Sarah Schulze-Tenberge als Clementine sowie Enrico Spohn und Philip Lemke u.a. als seltsames – auch seltsam gefährliches – Duo Gervasius und Protasius. So artifiziell wie virtuos agieren sie. Mitunter sogar komisch. Leicht geht ihnen das volkstümlich Expressive der Sprache von den Lippen. Und mühelos gelingt ihnen der Sprung durch die Zeit – von den Pubertierenden der Weimarer bis zur Bundesrepublik mit Party, Musik, Alkohol und dem erneuten Erstarken der Rechtspopulisten. (...) Ein Theaterabend, der lange nachhallt. Langer Applaus!«
»Bei Fleißers Text handelt es sich um Literatur von hohem Rang und bei der ›Fegefeuer‹-Inszenierung von Shirin Khodadadian, die jetzt im Kleinen Haus in Ingolstadt Premiere hatte, um eine gelungene Sichtweise auf das zeitlose Thema des Stücks. (...) Khodadadian mit Carolin Mittler (Bühne und Kostüm) und Katrin Vellrath (Musik) zeigen: Alle unglücklichen Jugendlichen sind einander ähnlich. Unfertige Seelen, triebgesteuert und dank moralischer Unterdrückung verloren zwischen Selbstanklage und Verdammnis.«
»Mit dieser kongenialen räumlichen Setzung von Bühnen- und Kostümbildnerin Carolin Mittler hat Regisseurin Schirin Khodadadian eine großartige Spielsituation für Marieluise Fleißers erstes Theaterstück ›Fegefeuer in Ingolstadt‹ für das Kleine Haus des Stadttheaters Ingolstadt entwickelt. Befremdlich und modern, expressiv und doch auch mit einigen humorvoll-grotesken Nuancen, die den Duktus der Ausweglosigkeit dieser Figuren aufbrechen (...) Mit dieser Dynamik setzt Schirin Khodadian den ganzen Leidensdruck, die Ausweglosigkeit dieser Figuren physisch und auch metaphorisch grandios um. Fast verblüfft nimmt man in dieser großartigen Aufführung war, wie heutig parabelhaft die Fleißer vor 100 Jahren formuliert hat, wie schwierig es sein kann, selbstbestimmt einen Platz im Leben und zu einem Du zu finden.«