Floh im Ohr
Komödie in 3 Akten von Georges Feydeau • Deutsch von Elfriede Jelinek
Die Hosenträger verraten alles. Victor-Emmanuel Chandebise hat seine ganz offensichtlich im Puff »Zur zärtlichen Miezekatze« vergessen. Seine Frau hat diese beim heimlichen Herumschnüffeln in seiner Post entdeckt. Jetzt wird ihr klar, warum ihr Mann neuerdings keinen Sex mehr mit ihr will. Er betrügt sie. Madame sieht rot! Sie will den Betrüger inflagranti erwischen und instrumentalisiert dafür ihre beste Freundin Lucienne. Diese schreibt ihm einen heißen Liebesbrief, mit dem der nichtsahnende und tatsächlich unschuldige Chandebise ins Bordell bestellt werden soll.
Chandebise aber glaubt an eine Verwechslung und schickt seinen Angestellten Romain Tournel zum Rendezvous. Um ihren Mann auf frischer Tat zu ertappen, muss sich Madame Chandebise wohl oder übel ebenfalls ins Rotlichtmilieu begeben. Was sie dort erwartet, übertrifft ihre kühnsten Vermutungen. Nicht nur Romain Tournel, sondern auch Dr. Finache, der Arzt ihres Mannes, ihr Neffe Camille, sogar ihre eigene Köchin und schließlich auch Carlos Homenidés de Histangua, der rasend eifersüchtige Ehemann ihrer Freundin Lucienne treiben sich dort herum.
Feydeau entlarvt, wie in vielen seiner Komödien auch in dieser Farce, die Sexualinstitution Ehe als sinnentleert und verlogen. Aufrecht erhalten und verteidigt, wird sie in der Belle Epoque nur, weil sie nunmal die einzige legitime Institution war, die Erotik zuließ. Unterdrückte Erotik findet daher andere Ventile, sei es in fremden Betten oder Bordellen. Feydeaus Farcen entschleiern die Scheinheiligkeit und Doppelmoral einer Gesellschaft, die Tabus nur bricht, wenn niemand es sehen kann.
Heute gibt es alternative Modelle zur Ehe und andere Modelle der Geschlechterbeziehungen. Wir leben im Zeitalter von lgbtq. Um die Farce aus den tradierten Konflikten zu ziehen und zu entstauben, stellt Regisseur Philipp Moschitz eine spezifische Setzung auf, wie er in diesem Video erklärt.
In seiner Inszenierung treibt es die Figuren von dem konservativen und heteronormativen Himmel direkt in die Hölle, wo es völlig losgelöst von tradierten Rollenmustern deutlich freier, lasziver, enthemmter und genderfluid zugeht. In einem himmlisch-höllischen Spektakel sausen die Figuren von der moralinsauren Wolke 7 mitten hinein in höllisch erotische Turbulenzen, in irrwitzige Verwirr- und Versteckspiele, bis sich die Ereignisse komplett überschlagen und die Helden im Galopp in den Abgrund und in den Wahnsinn rasen.
Bitte beachten Sie, dass bei der Inszenierung »Floh im Ohr« Stroboskopeffekte zum Einsatz kommen.
mit: Matthias Zajgier (Victor-Emmanuel Chandebise, Poche), Sarah Horak (Maria Raymonde Chandebise ), Luca Skupin (Jesu Camille), Luiza Monteiro (Lucienne Homenides de Hinstangua), Richard Putzinger (Romain Tournel), Jan Gebauer (Dr. Finache), Ulrich Kielhorn (Etienne), Manuela Brugger (Antoinette), Ivan Marković (Carlos Homenides de Hinstangua), Judith Toth (Ferraillon), Teresa Trauth (Olympe), Leopold Lachnit (Eugénie), Renate Knollmann (Rugby), Olaf Danner (Baptistin)
- Regie
- Philipp Moschitz
- Bühnenbild
- Thomas Flach
- Kostümbild
- Cornelia Petz
- Dramaturgie
- Gabriele Rebholz
- Regieassistenz
- Verena Wais
- Kostümassistenz
- Lilian Tschischkale
- Bühnenbildassistenz
- Milena Keller
- Theatervermittlung
- Lena Hilberger
- Inspizienz
- Annette Reisser
- Soufflage
- Ulrike Deschler
»Regisseur Philipp Moschitz hat das durchgeknallte Stück in der Übersetzung Elfriede Jelineks mit überbordender Fantasie auf die Bühne gebracht. Mit Thomas Flach und Cornelia Petz hat er ein Ausstattungsteam verpflichtet, das dem Himmel-Hölle-Konzept einen grandiosen Rahmen gibt. [...] Wahnwitz verlangt hohes Tempo und perfektes Timing. Und genau das liefert der Regisseur mit seinem exzellenten Ensemble in dieser wilden Show. Spielfreudig zeigen sich die insgesamt 14 Schauspielerinnen und Schauspieler allesamt – und höchst erfrischend in ihren Figurenerfindungen.«
»Das Ensemble ist in Spiellaune und drückt auf die Tube. Besonders Matthias Zajgier nötigt einem in seiner Doppelrolle als betrogener Betrüger und Depp im Glück Respekt ab. Da wird in Wort und Bild munter zitiert und parodiert, Moschitz hat schon in einigen Ingolstädter Inszenierungen gezeigt, dass er weiß, wie man den Zeitgeist fleddert. [...] Alles in allem eine beachtliche Leistung, ein Türauf-Türzu-Stück mit 14 freiflottierenden Darstellerinnen und Darstellern auf Hochtouren und nur einer (!) Tür zu bewältigen und fast ganz auf das klassische Drehbett zu verzichten. Das Premierenpublikum fand’s riesig, langer Applaus war der Lohn in Ingolstadt.«
»Feydeau hält dem Theaterpublikum seiner Zeit also einen lustvollen Zerrspiegel ihrer Doppelmoral vor. Regisseur Philipp Moschitz aber hat es nicht nötig, sich über die bürgerlichen Konventionen der Spießer von vor 120 Jahren zu mokieren. Geschenkt! Er hat ganz einfach einen Riesenspaß an dieser sich immer irrwitziger drehenden Motorik der Verwechslungen und Missverständnisse und setzt das so fulminant und amüsant um, dass es am Ende der Premiere am Samstag Jubel und Standing Ovations gibt.«
»Es ist eine sehr erstaunliche Setzung. Und eine, die erstaunlich gut funktioniert! (...) Moschitz spielt ein gewitztes Spiel, demontiert das Gegebene und findet neuen (Un-)Sinn im Altbekannten. (...) Jedem und jeder [Schauspieler*in] gibt Moschitz, genug Individualität und Raum, um zu glänzen. (...) Herrlich, wie Luca Skupin als Jesu Camille mit einem Sprachfehler kämpft und diesen ›Gottessohn‹ als verletzlichen, aber willensstarken Jüngling zeigt. Wie Matthias Zajgier in seiner Doppelrolle als Gott und Höllen- knecht brillieren kann oder wie Luiza Monteiro und Ivan Marković als temperamentvolles Ehepaar auf Spanisch aneinandergeraten. Moschitz hat keine Angst vor Klamauk und freut sich diebisch über jeden Spaß. Klug seziert er die Beziehungen zwischen den Figuren, gibt jedem die nötige Portion Sympathie mit, aber auch einen guten Schlag Durchtriebenheit. Frech und ohne falsche Scham nähert er sich dem Thema, das doch im Grunde kein anderes ist als die Menschlichkeit mit all ihren Fehlbarkeiten und Schwächen. Das Ergebnis: eine göttliche Komödie. Dante hätte seine Freude daran. Vielleicht. Das Publikum jedenfalls hat sie.«