Eine Zierde für den Verein
nach Marieluise Fleißer in der Fassung von Alina Fluck und Kundry Reif.
Zum 50.Todestag von Marieluise Fleißer
Anlässlich des 50. Todestages von Marieluise Fleißer findet am 2. Februar 2024 im Großen Haus am Stadttheater Ingolstadt das Gastspiel »Eine Zierde für den Verein« nach Marieluise Fleißer in der Regie von Alina Fluck statt. Die Aufführung hatte am 13. April 2023 in Berlin am bat-Studiotheater Premiere. Es war die Diplominszenierung von Alina Fluck an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch.
Ausgehend von dem gleichnamigen Roman adaptierte Alina Fluck gemeinsam mit der Dramaturgin Kundry Reif die Geschichte von Gustl Gillich und Frieda Geier für die Bühne. Marieluise Fleißer thematisiert in ihrem Roman die ambivalente Beziehung zu ihrem späteren Ehemann Bepp Haindl, Tabakwarenladenbesitzer und Sportschwimmer aus Ingolstadt. Gustl, bester Schwimmer im Ort, Frauenschwarm und Kleinstadtheld, verliebt sich in Frieda, eine unabhängige und melancholische Einzelgängerin. Obwohl die beiden grundverschieden sind, hält die Liebe. Allerdings nur solange, bis Gustl durchblicken lässt, dass er glaubt, Anspruch auf Friedas Arbeitskraft und Erbe zu haben. Die Liebe zerbricht an diesem Streit und den damit aufgedeckten unterschiedlichen Vorstellungen von Beziehung. Gustl, gekränkt in seiner Männlichkeit und mit zerbrochenem Herzen, kehrt zurück zu seinem Schwimmverein, dem er in den Monaten zuvor den Rücken gekehrt hatte. Er schart seine Schwimmmannschaft um sich, verschwört sie zu einem misogynen Haufen, Hauptziel ihres Hasses ist Frieda. In ihren Schwimm- und Körperkult schwappen bald die ersten nationalsozialistischen Gedanken auf, sie verwüsten den jüdischen Friedhof und spielen sich als Sitten- und Moralpolizei im Ort auf.
Der Roman, obwohl 100 Jahre alt, besticht durch aktuelle Themen und Fragen: Wie wichtig ist (ökonomische) Unabhängigkeit in einer Beziehung? Wie wird Liebe durch Arbeit, Abhängigkeitsverhältnisse und das Verständnis vom eigenen Selbst beeinflusst? Ist eine Liebesbeziehung ab einem bestimmten Zeitpunkt immer auch eine ökonomische Verbindung? Weiterhin untersucht die Inszenierung »Männlichkeit« als soziales Konstrukt. Sie zeigt die erschreckende Parallele des Männlichkeitsbildes vom Ende der 1920er mit dem von heute auf. Das Ideal eines »stählernen« und damit militärischen Körpers ist heute wie damals omnipräsent. Das Team der Inszenierung stellte sich die zentrale Frage, was mit einer Gesellschaft passiert, in der männlich gelesene Personen keinen Raum haben, Emotionen auszudrücken und Schwäche zu zeigen. In der Figur des Gustl (gespielt von Dennis Svensson) wird deutlich, wie sich unterdrückte Trauer und Verletzung in Wut und Hass verwandeln. Frieda (gespielt von Laura Talenti) bleibt nichts anderes übrig, als der Enge ihrer Herkunft zu entfliehen. Auch im echten Leben ließ Marieluise Fleißer die damalige Enge Ingolstadts hinter sich, um in Berlin mit Bertolt Brecht zusammenzuarbeiten. Jahre später kehrte sie mittellos nach Ingolstadt zurück und heiratete ihre frühere Jugendliebe Bepp Haindl. Von da an arbeitete sie täglich bis zu vierzehn Stunden unentgeltlich in Haindls Tabakladen. Die Arbeit im Laden und der aufkommende Nationalsozialismus führten dazu, dass ihr kaum Kraft und Zeit zum Schreiben blieb.
Mit zeitlicher Distanz gesehen, wirkt der Roman auf mehreren Ebenen wie eine Prophezeiung. Für das Team um Alina Fluck bedeutet die Inszenierung nicht nur die intensive Auseinandersetzung mit dem Roman, sondern auch mit den sozialen und gesellschaftlichen Umständen der damaligen Zeit, die erstaunlich aktuell wirken. 100 Jahre nach Erscheinen des Romans gerät unser sicher geglaubtes Weltbild erneut aus den Fugen: Rechte politische Tendenzen in ganz Europa, mehrere aktuelle Kriege und die globale Klimakatastrophe führen einerseits zu signifikanter Verrohung in der Gesellschaft, andererseits aber auch zu einer Flucht ins Private. Umso stimmiger fühlt es sich an, die Geschichte von Gustl und Frieda dorthin zurückzubringen, wo sie begann - nach Ingolstadt.
Mitveranstalter: Marieluise-Fleißer-Gesellschaft Ingolstadt
Gefördert durch die ALG und die Stadt Ingolstadt.