»Drei Wochen Festival und niemand will schlafen«

Projektleiter Georg Kistner über seine Pläne für die 39. Bayerischen Theatertage in Ingolstadt

Georg Kistner

Das herausforderndste Projekt der Spielzeit 2023/34 sind in Ingolstadt die 39. Bayerischen Theatertage (BTT)! Bereits zum fünften Mal richtet das Stadttheater das größte Theatertreffen Bayerns vom 29. Mai bis zum 16. Juni aus. Mit Georg Kistner hat sich Intendant Knut Weber einen Projektleiter gesucht, der die Stadt in einen Ausnahmezustand versetzen möchte. Im Interview mit Ines Gänsslen und Tanja Stephan aus der Öffentlichkeitsarbeit spricht Kistner über Abenteuer, Festivalatmosphäre und schlaflose Nächte.

Tanja Stephan: Wie bist Du zum Theater gekommen?

Georg Kistner: Mein erster Theaterbesuch war 1969 »Warten auf Godot«, mit meinem Vater, auf dem Aboplatz meiner Mutter, von Beckett inszeniert. Da bin ich leider sehr bald eingeschlafen. In den 70er Jahren habe ich mit der Schule viel »Grips-Theater« und »Rote Grütze« gesehen und war regelmäßig begeistert. Dann sind wir nach Bayern umgezogen. Da gab es einen Lehrer, der damals an der Schule das Schultheater erfunden hat, da habe ich gespielt – seitdem bin ich vom Theater infiziert und lebe sehr gern mit diesem »Virus«.

Ines Gänsslen: Mit welchem Gefühl gehst Du selbst ins Theater?

G.K.: Ich liebe es, auf Proben zu sein, und kann - immer noch - begeistert sein über das, was Schauspielende tun. Und es ist immer noch aufregend, wenn man im dunklen Theaterraum sitzt, auf den Beginn der Vorstellung wartet und weiß: Gleich erlebe ich was, was ich noch nie erlebt habe. 

T.S.: Was war für Dich ausschlaggebend, die BTT als Projektleiter zu übernehmen?

G.K.: Ich mache schon lange alle zwei Jahre ein kleines, aber internationales Jugendtheaterfestival. Es ist ein großes Vergnügen, ein Festival zu veranstalten, denn ein Festival ist immer »Ausnahmezustand« im besten Sinn des Wortes. Hier gibt es (fast) immer überraschende Begegnungen. Es ist die Gelegenheit, Theater zu sehen, das man sonst nicht sehen kann. Und im Idealfall verändert das Festival die Atmosphäre in der ganzen Stadt...

I.G.: Ist es für Dich eine große Herausforderung, ein Festival für alle bayerischen Theater zu organisieren?

G.K.: Natürlich ist es eine große Herausforderung, wir wollen schließlich circa 30 verschiedene Inszenierungen zeigen und obendrein ein umfangreiches Rahmenprogramm machen. Aber ich bin ja nicht alleine, das ganze Theater arbeitet daran, und auch die teilnehmenden Theater leisten ihren Teil. Mehrere hundert Menschen müssen koordiniert werden, es wird sicher technische und organisatorische Hürden geben. Ich habe schon jetzt das Gefühl, dass ich in Ingolstadt von Gleichgesinnten umgeben bin, und ich freue mich darauf, mit dem ganzen Team die Stadt mit tollen Inszenierungen zu »überfluten«.

T.S.: Welches Potenzial hat Ingolstadt, tolle BTT zu veranstalten?

G.K.: Ingolstadt ist eine bemerkenswerte Stadt, die sich im Lauf ihrer Geschichte immer verändert hat. Sie war mal Residenzstadt, Universitätsstadt, Militärstadt, heute ist sie ein attraktiver Wirtschaftsstandort und gleichzeitig Metropole für eine große ländliche Region. Ich habe das Gefühl, dass sie sich sehr verändert und geöffnet hat, die Statistik sagt, dass sie in den zehn Jahren von 2012 bis 2022 um mehr als 14.000 Einwohner gewachsen ist. Die Stadt ist also bunter und diverser geworden. Unser Programm wird es auch sein, soviel ist sicher.

I.G.: Welchen Fokus möchtest Du im Programm setzen?

G.K.: Ursprünglich wollten wir, dass unser Festival ein Motto oder eine Überschrift hat. Aber dann dachten wir, dass wir uns damit in der Auswahl schon im Vorhinein beschränken. Deshalb sind wir davon abgekommen. Die Bayerischen Theatertage sollen ja ein Festival mit einer möglichst großen Bandbreite sein, hier soll man erleben, wie wunderbar verschieden Theater sein kann. Und wenn ich mir die vielen Produktionen anschaue, mit denen sich die Theater bewerben, dann kann ich jetzt schon versprechen, dass uns das gelingen wird. Der Regisseur Alexander Lang hat immer vom »Theater als Abenteuer« gesprochen. Das ist eine gute Beschreibung, finde ich. Außerdem planen wir in Zusammenarbeit mit der Theaterakademie München und dem Studiengang Szenisches Schreiben der Universität der Künste Berlin eine Projektreihe, in der die Studierenden sich in Workshop-Phasen hier in Ingolstadt treffen und Produktionen erarbeiten. Marieluise Fleißer, die große und immer noch viel zu wenig gespielte Ingolstädter Dichterin, wird dabei auch eine Rolle spielen. Mehr kann ich darüber aber noch nicht verraten, denn dieser Arbeitsprozess beginnt ja gerade erst. 

T.S.: Was willst Du sowohl dem Publikum als auch den teilnehmenden Theaterschaffenden am Ende mit auf den Weg geben?

G.K.: Für ein gelungenes Festival brauchen wir Sie alle! Ich habe es schon gesagt, aber ich sage es nochmal: Ein Festival lebt von Begegnungen, auf allen Ebenen. Es kommen Theaterschaffende aus ganz Bayern hierher, nehmen große Mühen auf sich, um hier ihre Inszenierungen zu zeigen, und freuen sich auf diese Stadt und ihre Menschen. Das ist unsere Aufgabe und unser Angebot. Aber ein Fest wird das Ganze nur, wenn alle, die hier in der Stadt oder der Region leben, auch kommen und mitwirken, indem sie zuschauen, diskutieren. Denn ohne Zuschauende kann das Theater nicht stattfinden.

I.G.: Warum sollen die Leute kommen?

G.K.: Nutzen Sie die Gelegenheit, interessieren Sie sich für den/die/das andere, für den/die/das, was Sie noch nicht kennen, lassen Sie sich begeistern, faszinieren und überraschen. Staunen Sie! Und dann reden Sie ganz viel darüber, am besten immer direkt mit Menschen!

T.S.: Es kommen sicher ein paar schlaflose Nächte auf Dich zu. Hast Du in stressigen Situationen eine bestimmte Marotte?

G.K.: Ich versuche immer, Stress mit möglichst großer Gelassenheit zu begegnen. Aber das ist keine Marotte, sondern eher eine Strategie. Im Übrigen wär’s schön, wenn die Festivalnächte schlaflose Nächte werden würden. Drei Wochen lang ein Theaterfestival und niemand will schlafen – das ist doch ein Ziel! 

I.G. und T.S.: Vielen Dank, wir können es jetzt schon kaum erwarten!