»Das Aussortieren ist schwer«

Jurorin Friederike Engel über die Auswahl der Inszenierungen

für die 39. Bayerischen Theatertage

Jurorin Friederike Engel

Komödien, Tanzabende oder doch lieber Musicals? Eine sechsköpfige Jury entscheidet bis Ende des Jahres 2023, welche Inszenierungen bei den 39. Bayerischen Theatertagen zu sehen sein werden. Etwa 30 Produktionen sollen von 29. Mai bis 16. Juni 2024 auf die Bühnen des Stadttheaters Ingolstadt eingeladen werden. Friederike Engel ist gebürtige Nürnbergerin, Kulturmensch, Theaterfrau – und Mitglied der Jury. Sie war bereits bei den 38. Bayerischen Theatertagen in Bamberg Teil des Auswahlgremiums und freut sich nun über das erneute Vertrauen in ihr Urteil. Im Interview mit Tanja Stephan (Öffentlichkeitsarbeit) erzählt sie, wie die Jury bei ihrer Arbeit vorgeht.

Tanja Stephan: Liebe Friederike, Du hast als Jurorin in der Jury der Bayerischen Theatertage 2024 eine wichtige Aufgabe: Du wählst mit aus, welche Inszenierungen im Sommer in Ingolstadt zu sehen sein werden. Wie schwer ist es, sich zwischen all den vielen Bewerbungen zu entscheiden?

Friederike Engel: Ganz schön schwer. Es sind circa 60 Bewerbungen eingegangen, alle sehr unterschiedlich, teilweise schwer miteinander zu vergleichen. Nahezu alle sind auf einem hohen Qualitätsniveau. Da ist das Aussortieren schwer. Und das merken wir jetzt schon, obwohl wir einen Großteil der Einreichungen erst von Oktober bis Dezember live sehen werden.

T.S.: Wie geht die Jury bei der Auswahl vor?

F.E.: Jede Einreichung wird von mindestens zwei - meist sind es mehr – Juror*innen angesehen und anschließend in einer Sichtungstabelle grob bewertet. Es gibt die Kategorien A-D, wobei A sinngemäß für »unbedingt einladen« steht, B für »kann gut eingeladen werden, muss aber nicht unbedingt dabei sein«, C für »ich sehe es nicht wirklich, würde aber diskutieren und wünsche mir eine*n weitere*n Sichtende*n« und D für »nicht einladen«. An diesen Bewertungen orientieren wir uns erstmal ganz grob. In unseren Jurysitzungen werden dann jedes Stück und jede Wertung noch einmal ausführlich besprochen. Es wird also nicht aufgrund der Sichtungstabelle entschieden, sondern nur nach gemeinsamer Diskussion.

T.S.: Welche Kriterien sind für eine Produktion wichtig, um eingeladen zu werden?

F.E.: Es ist wichtig zu betonen, dass die Bayerischen Theatertage ein Inszenierungs-Festival sind. Es geht also entgegen eines Festivals, zum Beispiel der Mülheimer Theatertage oder des Heidelberger Stückemarkts, nicht zentral um Texte und Autor*innen. Für uns gilt es mehr, auf die Gesamtästhetik, auf Regie, Ausstattung und Spiel zu schauen. Natürlich lässt sich ein Text nicht ausblenden, aber das »gute Stück« ist eben nicht im Fokus. Wir suchen nach den besten Produktionen 2022 bis 2024 in Bayern. Nach dem, was auffällt. Wodurch? Das kann vielfältig sein. Das können außergewöhnliche Mittel, darstellerische Leistungen, Lesarten auf Stoffe und vieles mehr sein.

T.S.: Legt Ihr den Fokus auf ein bestimmtes Thema?

F.E.: Wie gerade vielleicht schon deutlich geworden ist, geht es um eine Art »Besten-Schau« und nicht um ein kuratiertes Festival. Es gibt demnach kein gesetztes, inhaltliches Motto. Dennoch zeichnen sich innerhalb der Bewerbungen durchaus Themencluster ab. Bestimmte Fragestellungen beschäftigen uns einfach alle. Bei unserer letzten Sitzung haben wir darüber diskutiert, diese Cluster vielleicht auch bewusst sichtbar zu machen, also was sich thematisch sinnvoll ergänzt und gut ist, auch zusammen einzuladen und zu zeigen. Aber da will ich jetzt noch nicht vorgreifen. Das ist noch nicht final entschieden.

T.S.: Seid Ihr Euch innerhalb der Jury eigentlich immer einig oder diskutiert Ihr auch mal kontrovers?

F.E.: Nein, einig sind wir uns natürlich nicht immer. Richtig kontrovers war es bisher allerdings auch noch nicht. Aber das kann noch kommen. Es ist ja noch viel zu sichten bis zum Jahreswechsel.

T.S.: Schaust Du Dir Inszenierungen als Jurorin unter anderen Gesichtspunkten an, als wenn Du als »normale« Besucherin ins Theater gehst?

F.E.: Ich würde schon sagen, dass sich das ziemlich unterscheidet. Wenn man als Jurymitglied in der Vorstellung sitzt, versucht man, eine möglichst objektive Perspektive einzunehmen, stellvertretend für ein größeres interessiertes Publikum, auch ein Fachpublikum. Man hat pragmatische Kriterien im Kopf, wie mögliche Spielorte in Ingolstadt und eben die Vergleiche mit den anderen Produktionen. Wenn ich privat ins Theater gehe, versuche ich, bei mir zu sein und bei dem, was ein Abend mit mir macht, intellektuell und vor allem emotional. Da sind mir ästhetische Standards und Vergleiche erst mal egal. Da geht es darum, dass es mir und zwar nur mir »gefällt«. Aber natürlich gibt es auch Überschneidungen. Wichtig ist, sich der unterschiedlichen Perspektiven immer bewusst zu sein. Vielleicht gibt es die »normale« Besucherin Friederike Engel aber auch schon lange nicht mehr, weil man einfach zu oft die berufliche Brille auf hat…?

T.S.: Du hast ja im Laufe des Auswahlverfahrens bis Ende des Jahres jede Menge Inszenierungen gesehen. Kommst Du dann trotzdem zu den BTT?

F.E.: Auf jeden Fall. Es deuten sich jetzt schon Produktionen in der Endauswahl an, die ich nicht gesichtet habe, von denen die Kolleg*innen aber so begeistert berichtet haben, dass ich sie mir sicher nicht entgehen lassen werde.

T.S.: Herzlichen Dank für den Einblick in die Arbeit der Jury! Ich bin sehr gespannt, was wir im Sommer zu sehen bekommen werden.

 

Zur Person: Friederike Engel

Nach einem Studium der Theater-, Medien- und Literaturwissenschaft in Deutschland und Frankreich arbeitete Friederike Engel als Dramaturgin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, am Theater Münster und zuletzt in leitender Funktion am Staatstheater Nürnberg. Für ihre dramaturgische Arbeit wurde sie 2013 mit dem Marie-Zimmermann-Stipendium ausgezeichnet, verbunden mit einem Aufenthalt in der renommierten Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. Friederike Engel hat als Festivalmanagerin (u.a. für die Internationalen Gluck-Festspiele), freie Beraterin, Moderatorin und Produzentin gearbeitet. Seit 2020 leitet sie die Tafelhalle Nürnberg ein Koproduktions- und Veranstaltungshaus der freien Szene für zeitgenössischen Tanz, Theater, Performance und Musik. Sie ist regelmäßig journalistisch tätig und unterrichtet an der Fakultät für Design der Georg-Simon-Ohm Hochschule Nürnberg.