Driving Orpheus
In 90 Minuten durch den Hades
„DRIVING ORPHEUS“: THEATER IM AUTO Ab 13. November lädt das Theater zu einem ganz besonderen Theatererlebnis ein: So wie der Orpheus aus der antiken Mythologie in den Hades hinabsteigt, um sich auf die Suche nach seiner toten Eurydike zu machen, besteigt ein Mann an einem Winterabend im Jahr 2009 seinen Audi A8 und startet eine Irrfahrt durch das nächtliche Ingolstadt. Und jeweils drei Zuschauer können mitfahren! Sie erleben eine aufregende, rund 90-minütige Nachtfahrt hin zu bekannten und unbekannten Orten und Plätzen der Stadt. Regie führt Peter Rein, in wechselnden Besetzungen spielen Ralf Lichtenberg, Peter Reisser, Sascha Römisch, Olivia Cilgia Stutz, Victoria Voss und Vera Weisbrod. Als Passagiere im Fond des Wagens erleben die Zuschauer die Geschichte einer „Amour fou“, einer ganz besonders intensiven Liebesbeziehung zwischen dem Fahrer des Wagens und einer unbekannten Frau. Der Fahrer nimmt seine Passagiere mit zu Stationen dieser Liebesbeziehung; wie in einem wilden Alptraum werden Situationen nacherlebt und nachempfunden... Mit „Driving Orpheus“ bietet das Theater seinen Zuschauern erstmals ein ganz unmittelbares Theatererlebnis an, bei dem die Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit zu verschwimmen scheinen und bei dem die ganze Stadt für 90 Minuten zur Bühne wird. Die Zuschauer gehen mit Orpheus auf Spurensuche nach seiner Eurydike - quer durch Ingolstadt - und jedes Mal ein bisschen anders... Karten für „Driving Orpheus“ gibt es nur an der Theaterkasse, telefonische Reservierung oder Internetbuchung sind leider nicht möglich!mit: Ralf Lichtenberg, Peter Reisser, Sascha Römisch, Olivia Cilgia Stutz, Victoria Voss, Vera Weisbrod
- Regie:
- Peter Rein
- Ausstattung:
- Christina Huener
- Musikalische Leitung:
- Tim Allhoff
Premiere am
Foyer/Großes HausDauer: 90 Minuten
AUGSBURGER ALLGEMEINE
– 14.11.2009
MIT ORPHEUS DURCH DIE NACHT
Ingolstadt Dass dieses Theater 450
PS hat, bekommt auch der weniger
sensible Magen spätestens zu spüren,
als der Streit eskaliert. Dann
drückt der geheimnisvolle Fahrer
das erste Mal so richtig auf die
Tube, wir schießen mit der schwarzen
Limousine durch die Ingolstädter
Nacht. Aus den Lautsprechern
plärrt The Prodigy „Smack my
Bitch up“. Dann die Vollbremsung.
Lara steigt aus, knallt die Tür hinter
sich zu und beschimpft ihren Liebling.
Irgendwo zwischen qualmenden
Raffinerie-Schloten und riesigen
Öltanks verschwindet die Frau
im schwarzen Mantel.
Das Theater Ingolstadt macht es
Hamburg und Leipzig nach und
startete gestern Abend als erste
Bühne in Bayern ein Experiment:
„Driving Orpheus“ steht in fetten
Lettern auf der schwarzen Audi-Limousine.
Im Fond ist Platz für drei
Glückliche, die sich die wenigen
Karten der geplanten zwölf „Theater
im Auto“-Vorstellungen sichern
konnten. Düstere Filmmusik aus
David Lynchs Psycho-Thriller
„Mulholland Drive“ verheißt nichts
Gutes für die eineinhalbstündige
Irrfahrt zu den gottverlassenen Plätzen
der Stadt.
Denn es geht nicht irgendwohin,
sondern ab in eine Art Hades. Am
Steuer sitzt schweigend der grimmige
„Fahrer“ (Sascha Römisch), von
der eingelegten CD melden sich Rilke,
Hölderlin, Ingeborg Bachmann
oder Conrad Ferdinand Meyer mit
poetischen Orpheus-Kommentaren
zu Wort (Textfassung: Thomas
Schwarzer).
In bester David-Lynch-Manier
bricht die Handlung mit der Linearität
der Zeit. Von Lara (Victoria
Voss), die wütend aussteigt, nur um
eine Viertelstunde später wieder
frisch verliebt einzusteigen, weiß
man nur, dass sie in ein offenbar faules
Ölgeschäft mit Russland verwickelt
war und vor sieben Jahren ums
Leben kam. Besessen sucht sie der
Fahrer seither jede Nacht. Der Umschlag
mit Geld, die Pistole im
Handschuhfach und die russische
Dame mit weißem Pelzmantel, hohen
Lacklederschuhen und einem
Labrador auf einer für Autos eigentlich
gesperrten Donaubrücke erklären
das schlechte Gewissen, das diesen
Orpheus plagt.
Die Stadt als Bühne – damit hat
Stefan Pucher vor vier Jahren ernst
gemacht, als er Richard Dressers
Theaterstück „What are you afraid
of“ in einem Citroën durch zehn
deutsche Städte schickte. Die Idee
hat Ingolstadts Intendant Peter Rein
als Regisseur lediglich adaptiert und
mit dem antiken Orpheus-Mythenstoff
verknüpft. Doch auch Ingolstadt
funktioniert als Kulisse für die
nächtliche Raserei ausgezeichnet,
Wirklichkeit und Spiel verschwimmen
mit jedem gefahrenen Kilometer
mehr, gefangen in der schwarzen
Karosse wird die Story auch immer
mehr zum eigenen Albtraum.
„Driving Orpheus“ ist keine
harmlose Sightseeing-Tour. Das
Roadmovietheater führt mitten
durch die Fußgängerzone, durchs
Gewerbegebiet, ins Rotlichtviertel,
über die Autobahn und schließlich
in das Labyrinth aus Tausenden
Rohleitungen auf einem stillgelegten
Raffineriegelände. Die verbotenen
Orte am Rande der Stadt und
die Musik (auch Bach und Gluck
sind vertreten) verstärken den Sog
der Geschichte. (Volker Linder)