Die heilige Johanna der Schlachthöfe
Schauspiel von Bertolt Brecht
Der Heilsarmeeleutnant Johanna Dark glaubt an Gewaltlosigkeit und die Änderung der Welt durch das Vorbild des guten Menschen. Sie predigt den Menschen »Sinn für Höheres« und Abkehr von den niedrigen Genüssen und tröstet die hungernden Arbeiter der Chicagoer Fleischfabriken mit Gottes Wort, denn »Gottes Wort ist ein viel feinerer und innerlicherer und raffinierter Genuss. Dann will ich aber wissen, wer an all dem schuld ist.« Sie will wissen, wie all die Armut entsteht, die die Menschen niederdrückt und ihrer Würde beraubt. Sie will wissen, warum die Arbeitswilligen frierend und hungrig vor den Fabriktoren stehen und von Gott nichts wissen wollen. Wo doch Gott, da ist sich die Heilsarmistin Johanna sicher, der Ausweg aus dem elenden Leben ist. Johanna will hinein in die Fabriken und dem Menschen ins Gesicht sehen, der die Armut der Menschen verschuldet hat. Und trifft dort den Fleischkönig Pierpont Mauler. Pierpont Mauler, Chicagos Fleischkönig, verkauft seinen Anteil am gemeinsamen Geschäft an seinen Kompagnon Cridle, angeblich aus Überdruss an der Tötung von Tieren, tatsächlich aber deshalb, weil seine New Yorker Börsenfreunde ihm in einem Insidertipp zu diesem Schritt geraten haben. Cridle verknüpft mit dem Kauf die Bedingung, dass vorher auch ihr größter Konkurrent Lennox bankrott geht, was auch bald geschieht. Die »Schwarzen Strohhüte« der Heilsarmee können das durch die Wirtschaftskrise (es ist zu viel Fleisch auf dem Markt, für das es keine Käufer gibt) immer größer werdende Elend der Arbeitslosen nicht mehr mit Suppe, Musik und netten Worten aufhalten. Daher bittet Johanna Mauler um Hilfe für die Armen. Mauler möchte Johanna beweisen, dass die Arbeiter »schlecht« seien und daher ihre hoffnungslose Lage selbst verschuldeten. Doch Johanna erkennt auf Maulers Schlachthof auch den Grund für die sogenannte »Schlechtigkeit«: deren Armut. Sie zieht mit ihren »Schwarzen Strohhüten« in die Viehbörse, um dort für menschliche Verhältnisse zu sorgen. Scheinbar gelingt ihr das, aber in Wirklichkeit hat Mauler den Markt »gerettet«, indem er sich vertraglich verpflichtet, demnächst in großem Stil Fleisch aufzukaufen. Dabei folgt er allerdings einem neuen Insidertipp seiner Börsenfreunde. Kurz darauf kauft er alles Rindfleisch auf, dessen er habhaft werden kann. Johanna begreift zu spät, dass Maulers erneute Monopolstellung, diesmal als Eigentümer der Rinder, die Not durch den Verdrängungswettbewerb gegen Maulers Konkurrenten und den Ruin des Systems, den er verursacht, sehr schnell wieder vergrößern wird. Nun bietet sie den Kommunisten ihre volle Unterstützung an. Doch als zum Generalstreik aufgerufen wird, verrät sie ihre Verbündeten, da sie den irreführenden Meldungen der Medien glaubt und noch Skrupel gegenüber der Gewalt hat, zu der in einem Schreiben aufgefordert wird, das sie weiterleiten soll. Der Streik wird durch Johannas Schuld niedergeschlagen, und das System kann gerade noch einmal stabilisiert werden. Entkräftet bricht Johanna zusammen. Um die Verbreitung ihrer Erfahrungen und Ansichten zu verhindern, beschließen die Fleischhändler, sie heilig zu sprechen als Märtyrerin der Mildtätigkeit. Ihre Ausrufe, die jetzt zur gewaltsamen Änderung der Gesellschaft aufrufen und Brechts Lehre enthalten, gehen sogleich in einem Wirrwarr von Lobreden unter ... Die Parabelzüge des Stückes weisen deutlich über Zeit und Ort, die große Weltwirtschaftskrise 1929, hinaus, und sind von großer Aktualität. Hat Brecht geahnt, was uns heute bewegt? Macht- und hilflos ist der Mensch vor den Lenkern der Welt, vor dem undurchdringlichen Dickicht der Städte und des Marktes? Unübersichtlich scheint die Szenerie, die Mechanismen sind nicht nachvollziehbar, die Verantwortlichen nicht greifbar, ein Ausweg nicht in Sicht. Atemlos lassen wir uns plattdrücken von Globalisierung, Privatisierung, Hartz IV – Sprechblasen. Frieden, Glück, Gerechtigkeit? Kann man gar nichts tun, außer Augen und Ohren zu schließen und sich trübsinnig treiben zu lassen? Johanna Dark greift ein: In der blutigen Welt der Schlachthöfe sucht sie voll Phantasie und Zuversicht nach dem Guten im Menschen.mit: Matthias Winde (Pierpont Mauler), Marcus Staab Poncet (Cridle, sein Kompagnon, Packherren 2), Gunter Heun (Graham, Packherren 1), Peter Reisser (Lennox / Paulus Snyder / Aufkäufer / Spekulanten 2), Sascha Römisch (Slift, Maulers Makler), Vera Weisbrod (Johanna Dark), Olivia Cilgia Stutz (Martha / Schwarze Strohhüte), Rolf Germeroth (Viehzüchter 1), Olaf Danner (Viehzüchter 2), Renate Knollmann (Aufkäufer / Kleine Spekulanten 1/ Mulberry), Toni Schatz (Detektiv, Zeitungsleute / Stimme / Überschriften der Szenen), Louise Nowitzki (Zeitungsjunge / Arbeiter / Stimme), Victoria Voss (Frau Luckerniddle), Richard Putzinger (Arbeiterführer 2 / Arbeiter 2 / Stimme), Stefan Leonhardsberger (Arbeiter 3 / Stimme), Oliver Losehand (Arbeiterführer 2 / Arbeiter 5 / Stimme)
- Inszenierung:
- Kay Neumann
- Ausstattung:
- Dorit Lievenbrück
- Musik:
- Tim Allhoff
Premiere am
Großes Haus