Michael Kohlhaas
Schauspielfassung nach der Novelle von Heinrich von Kleist
Auf dem Weg nach Sachsen wird der Rosshändler Kohlhaas von dem Junker Wenzel von Tronka an der Grenze widerrechtlich aufgehalten. Weil er keinen Passierschein vorweisen kann, muss er seine Rappen als Pfand hinterlassen. Als er seine Pferde wieder abholen möchte, findet er sie vollkommen verwahrlost vor. Er stellt fest, dass sein Knecht Herse von den Bedienten des Junkers übelst zugerichtet worden ist. Nach genauer Erkundigung und Prüfung des Geschehenen, verklagt Kohlhaas den Junker beim Gericht auf Wieder-auffütterung der Rappen und Erstattung der Krankenkosten für Herse. Doch keine Instanz will ihm Recht verschaffen. In seiner mehrfach dramatisierten Novelle MICHAEL KOHLHAAS weist Heinrich von Kleist den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und individueller Gewalt auf. Darf sich der Einzelne, wenn ihm die Willkür der Autoritäten widerfährt, von den Gesetzen lossagen und für sein Recht streiten? Worauf fußt dieses Recht? Mit welchen Mitteln darf man es erkämpfen?mit: Adelheid Bräu, Victoria Voss, Peter Greif, Ralf Lichtenberg, Marcus Staab Poncet
- Regie:
- Karoline Kunz
- Bühne:
- Anja König
- Kostüme:
- Anja König
Premiere am
Werkstatt/Junges TheaterDauer: 105 Minuten
NEUBURGER RUNDSCHAU
– 01.12.2008
Kohlhaas kafkaesk
Ingolstadt. Bei Karoline Kunz ist Michael Kohlhaas von Anfang an da, wo er hinwill: vor Gericht. Die ganze Geschichte vom Pferdehändler, der vom Junker von Tronka betrogen wird und sich vom Rechtsstaat im Stich gelassen zum Rachefeldzug aufschwingt, spielt in der Inszenierung am Theater Ingolstadt komplett im Gerichtssaal. Auf Fingerzeig gibt der Richter die Episoden
aus Kleists Novelle von 1810 vor, die er hören will, kommandiert seine
Spielfiguren frei nach Lust und Laune herum. Wild gibt der Richter (großartig
schelmisch gespielt von Adelheid Bräu) von dem reichlich runtergekommenen
samtroten Barocksofa (Ausstattung: Anja König) Einsätze vor, unterbricht die Akteure – „Setzen, Kohlhaas!“ – lässt sie ihren Text wieder und wieder aufsagen, dann nur in Teilen, nur den ersten oder letzten Satz einer Passage:
Wieder und wieder rezitiert der Anwalt (Victoria Voss) das erlittene Unrecht, die Episode auf der Tronkenburg mit dem Passschein, der von Kohlhaas zu Unrecht verlangt wird und ihn zum blutrünstigen Rächer macht.Die Instanzen von Recht und Gerechtigkeit sind in der Inszenierung von Anfang an entthront.
Absolute Werte werden zu Bällen im willkürlichen Spiel der Richterfigur. Der Kampf Kohlhaas’ um sein Recht wird zum absurden Theater, wenn etwa der Zeuge (Ralf Lichtenberg) vier Mal in Folge aus seinem Loch im Bühnenboden herbeizitiert und wieder in die Versenkung geschickt wird. Einmal wird
behauptet, der Zeuge sei nicht da, obwohl ihn Kohlhaas doch unmittelbar
vor sich hat. Beckett lässt grüßen, Kafka ist nicht weit. Kohlhaas und die anderen stehen diesen hochrichterlichen Schikanen zuerst irritiert gegenüber, spielen das absurde Spiel dann aber immer perfekter mit: Kohlhaas (Marcus
Staab Poncet), wie er Tronka (Peter Greif) jagt, dessen Schloss niederbrennt,
immer mehr Anhänger um sich schart und nach hundertfachem Morden durch Martin Luther geläutert erneut den Weg der Gerichtsbarkeit beschreitet. Michael Kohlhaas fast schon als Witzfigur im absurden Spiel per se unbegreiflicher
Kräfte – das ist ein riskanter Ansatz, radikal postmodern, bei dem nicht
viel von der Epik Kleists übrig bleibt. Er ist aber vor allem mutig.
Die junge Regisseurin treibt es in ihrer Fassung mit den Wiederholungen
des Originaltextes weit. Die ohnehin unmöglich langen Sätze von Kleist im Loop laufen zu lassen, als hätte die CD einen Sprung, rührt bis an die Schmerzgrenze. Macht aber auch den Schmerz fast physisch spürbar, der sich bei der Lektüre des Michael Kohlhaas aufdrängt: Wie Kleist lässt Kunz einen radikal hängen zwischen Sympathie für den vom vermeintlichen Rechtsstaat Betrogenen und Abscheu vor seinen maßlosen Gewaltverbrechen. Dank
der guten schauspielerischen Leistungen geht diese Rechnung auf.
(Volker Linder)
KULTURKANAL INGOLSTADT
– 01.12.2008
Michael Kohlhaas
In der Werkstattbühne hat Karoline Kunz Heinrich von Kleists 200 Jahre alte Erzählung über die Fragwürdigkeit der Selbstjustiz, „Michael Kohlhaas“, auf die Bühne gebracht.
Michael Kohlhaas verschafft sich selbst sein Recht, weil ihm nicht Recht gesprochen wird, weil er auf legalem Weg nicht Recht und keine Genugtuung bekommt für das Unrecht, das man ihm angetan hat. Er greift zur Selbstjustiz, läuft Amok, mordet und steckt Städte in Brand. Doch zu retten ist mit diesem Rachefeldzug nichts, nicht einmal mehr die zwei Pferde, um die es ursprünglich eigentlich nur ging. Man hat sie konfisziert und fast zu Tode gequält - ein Akt der Grenzschikane des Regionalfürsten an einem redlichen Pferdehändler.
Das Unrecht, dass diese herrschaftliche Willkür nicht bestraft wird, macht Kohlhaas zum Rebellen, der sich schließlich außerhalb von Recht und Ordnung stellt. Und er findet Nachahmer, die ohne persönliches Motiv als Mordbrenner, heute würde man sagen, Terroristen, das Land unsicher machen.
Sein Gerechtigkeitsempfinden hat Michael Kohlhaas zum Gewalttäter gemacht. Hätte er das ungerechte System aus Willkür der Privilegierten und der Ignoranz der juristischen Bürokratie einfach hinnehmen, erdulden sollen? Indem Kohlhaas gewaltsamen Widerstand leistet aber wird er, das Opfer, selbst zum ungerechten Täter. Um diesen Konflikt geht es in Heinrich von Kleists Erzählung. Das Problem der Gewalteskalation bei durchaus gerechtfertigten Motiven ist natürlich vor dem Hintergrund des Terrorismus und auch in Bezug auf Aufstände gegen autoritäre Systeme nach wie vor aktuell.
Regisseurin Karoline Kunz vom Team des Kleinen Hauses des Theaters Ingolstadt hat die Erzählung von Heinrich von Kleist nicht vordergründig aktualisiert und aus ihrer eigenen Bühnenfassung eine stringente Regiekonzeption entwickelt. Gesprochen wird fast ausschließlich Kleists Text. Allerdings radikal fragmentiert, zerstückelt, neu zusammengesetzt. Kernsituationen werden leitmotivisch immer wieder aus wechselnden Perspektiven wiederholt, auf mehrere Sprecher verteilt, wie ein Fugato verdichtet. Die Bühnenfassung des Prosatextes ist keine Dialogisierung, höchstens wird die 3. Person durch ein „Ich“ ersetzt.
Die Spirale der Gewalteskalation schlägt sich auch in der Intensität nieder, mit der der Text immer wieder befragt und schließlich in einem verbalen Schlagabtausch zwischen den einzelnen Akteuren ineinander verzahnt wird. Sprachgewalt steht für die physische Gewalt der geschilderten Ereignisse.
Die theatrale Grundsituation ist eine Gerichtsverhandlung.
Adelheid Bräu hockt in einer weiten Richterrobe auf einem schräg an der Seitenwand hängenden Sofa und fordert die Zeugen immer wieder auf, von neuem an bestimmten Stellen der Erzählung einzusetzen, nach vorne zu kommen, sich wieder zu setzen. Mit köstlich grotesker, schriller Autorität gibt sie Stichworte und Regieanweisungen wie eine Regisseurin bei einer Probe, ruft zum Textaufsagen auf wie eine Lehrerin ihre Schüler. Sie lacht sich scheckig, wenn Ralf Lichtenberg als Zeuge wie ein Kasperl aus der Versenkung auftaucht und lässt die Pointe mehrmals wiederholen. Zur Irritation des Klägers Kohlhaas, der dieses Ausgeliefertsein an die Launen und Schikanen der Richterin natürlich gar nicht lustig findet. Mit diesen situativen Analogien zu Gerichtssaal, Schule, auch Theaterarbeit wird deutlich:
Der Fall Kohlhaas steht für viele autoritäre Strukturen.
Und diese Gerechtigkeit ist ein System, dessen Spielregeln der Kläger oder Angeklagte nicht ganz durchschaut. Da gibt es nämlich auch völlig absurde Spielaufforderungen wie „Fangen spielen“. Und da rennt dann Peter Greif als Junker Tronka hinter der Richterin her. Und
bevor Michael Kohlhaas seinen Rachefeldzug antritt, kitzelt er die am Boden liegende Richterin halb zu Tode.
Der Fall Michael Kohlhaas wird in dieser Inszenierung zu einem kafkaesker Alptraum der Hilflosigkeit gegenüber der undurchschaubaren Willkür des Systems. Und Ausstatterin Anja König liefert marode Tische, das schräg im Raum schwebende Sofa, einen aus der Schwerkraft gekippten Stuhl und eine Theatersessel-Reihe als Wartebank für diesen Schauplatz des Absurden.
Schließlich läuft Michael Kohlhaas immer wieder gegen die Wand, er läuft gegen sich selbst Amok. Mit solchen Einfällen wird die Metaphorik der Regisseurin und ihr Bestreben, die Brutalität der Geschichte aus szenisch spürbar zu machen, zur unnötig platten Action.
Und irgendwann hat sich die Methode der zum vielstimmigen Chorus verzahnten Textwiederholungen auch abgenutzt. Das Revisionsverfahren als Wiederholung der immer selben aktenkundigen Zeugenaussagen wird nicht nur für den betroffenen Kohlhaas langsam unerträglich.
Doch zunächst ist durchaus eindrucksvoll, wie Karoline Kunz die rhythmische Härte von Kleists komplizierter Syntax als Ausdrucksmittel nutzt, um die Eskalation der physischen Gewalt theatralisch spürbar zu machen.
Und die Schauspieler haben mit großartiger Präzision und Dynamik diese komplizierte Verzahnung der Satzfragmente einstudiert. Und Kleist zu sprechen, ist wahrlich nicht einfach. Am besten gelingt dies Victoria Voss. Jede Silbe ist gedacht und verständlich, jede im Tonfall veränderte Wiederholung der Anfangspassage erzählt mehr über die aussichtslose Situation des Kohlhaas. Victoria Voss ist leidenschaftliche oder mitfühlende Verteidigerin, verzweifelte Ehefrau oder argumentiert mit den Worten Luthers vernünftig-humanistisch gegen das Recht auf Gewalt. Und vor allem bringt Victoria Voss in ihrem stummen oder bis zum Weinanfall gesteigerten Mitleiden eine wesentliche emotionale Dimension in die Aufführung.
Marcus Staab Poncet als Michael Kohlhaas kämpft mit sprachlicher Intensität den hoffnungslosen Kampf gegen die Obrigkeit und muss dazu meist wie ein Schuljunge vor seiner Lehrerin stehen.
Ralf Lichtenberg bringt gestochen scharfe leise Töne ins Spiel, und Peter Greif als der eigentliche Täter aus herrschaftlicher Willkür bleibt der gelassen sich auf das Spiel einlassende Komplize der Macht.
Eine mutig und klug konzipierte Aufführung mit großem Einsatz aller Darsteller, die sich leider aber auch in manche szenische Überdrehtheit verrannt hat. Schwere Kost, auch durch Kleists komplizierte Prosasprache, für die Konzentration der Zuschauer.
(Isabella Kreim)