Die Leiden des jungen Werther
Schauspiel nach dem Roman von Johann Wolfgang Goethe
DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER Schauspiel nach dem Roman von Johann Wolfgang von Goethe WERTHER LIEBT LOTTE LIEBT ALBERT. Die Handlung von Goethes berühmtem Briefroman erscheint, auf den ersten Blick betrachtet, vergleichsweise schlicht. Der junge Werther, impulsiv, hochsensibel, verliebt sich in die hübsche und liebenswürdige Lotte, die jedoch bereits Albert versprochen ist, einem braven, biederen Rationalisten. Da keine Aussicht auf eine Veränderung der Verhältnisse besteht, leiht sich Werther von Albert zwei Pistolen und erschießt sich. WERTHER, ein früher Klassiker der ménage à trois. Und ein Kultbuch, über die Jahrhunderte hinweg. Als Goethe 1774 seinen WERTHER veröffentlichte, den er zuvor in nur vier Wochen unter Einbeziehung vieler biographischer Ereignisse niedergeschrieben hatte, avancierte er als Schriftsteller auf einen Schlag zur europäischen Berühmtheit. Die Figur des jungen Werther, der sich, empfindsam, wie er ist, mit den gesellschaftlichen Umständen nicht abfinden will, der an einem System verzweifelt, dessen sozialen Konventionen weder den beruflichen Aufstieg noch die private Erfüllung in der Liebe zulassen – unabhängig davon, ob Lotte dazu überhaupt bereit wäre – und der schließlich an seiner widerständigen Umwelt zerbricht, traf exakt den Nerv seiner Zeit. Goethe unternahm in späteren Jahren einen Deutungsversuch des so genannten „Werther-Fieber“: Die „Wirkung dieses Büchleins“, resümiert er, sei so „ungeheuer“ gewesen, „weil es genau in die rechte Zeit traf. Denn wie es nur eines geringen Zündkrauts bedarf, um eine gewaltige Mine zu entschleudern, so war auch die Explosion, welche sich hierauf im Publikum ereignete, deshalb so mächtig, weil die junge Welt sich schon selbst untergraben hatte, und die Erschütterung deswegen so groß, weil ein jeder mit seinen übertriebenen Forderungen, unbefriedigten Leidenschaften und eingebildeten Leiden zum Ausbruch kam.“ Die Erschütterung, die der WERTHER auslöste, trieb seinerzeit etliche Epigonen in den Freitod, die emotionale Identifikation der Leser mit dem scheinbar dokumentarischen Schicksal der Romanfigur war komplett. Doch was macht den Roman noch heutig? Was fesselt uns noch an dem Schicksal eines wehleidigen Schwärmers, der sich in schwelgerischen Naturbeschreibungen ergeht und dessen künstlerischen Gehversuche zur Selbstfindung die eines bemühten Dilettanten sind, der aber den Anforderungen des Alltags offensichtlich nicht gewachsen ist?! Werther ist der Vertreter einer jungen Generation: rastlos, permanent auf der Suche (oder auf der Flucht, je nach Blickwinkel), rebellisch, narzisstisch, überschwänglich, selbstmitleidig, sehnsüchtig, morbid. Sein Gefühlsleben, von Goethe vor 230 Jahren beschrieben, ist das Unsere heute, ist das eines bedingungslosen Individualisten. Werther sind Wir. Er ist derjenige, der man gern wäre und den man in sich fürchtet: auf der einen Seite intelligent, gefühlvoll, phantasievoll, ein Frauenversteher; andererseits aber auch ein zaudernder, zweifelnder Jammerlappen! Für Lotte zumindest stellte dies Zwiegespaltene in Werthers Wesen eine Überforderung dar. Gegen Ende ihrer wie auch immer gearteten Beziehung untersagte sie Werther jeden weiteren Besuch. Zu viel verlangt von einem Mann, der immer nur Alles oder Nichts wollte.mit: Daniel Breitfelder (Werther), Susanne Engelhardt (Lotte), Olaf Danner (Albert)
- Regie:
- Martin Schulze
- Bühne:
- Frank-Tilmann Otto
- Kostüme:
- Frank-Tilmann Otto
- Choreografie:
- Heike Fischer-Bergemann
Premiere am
Kleines HausDauer: 90 Minuten
KULTURKANAL INGOLSTADT
– 26.11.2007
GOETHE/SCHULZE: DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER
Gespannte Aufmerksam und großer Applaus bei der gestrigen Premiere von „Die Leiden des jungen Werther“ im Kleinen Haus des Theaters Ingolstadt. Hausregisseur Martin Schulze hat Johann Wolfgang von Goethes Jugendroman für die Bühne adaptiert und mit Daniel Breitfelder, Susanne Engelhardt und Olaf Danner im Kleinen Haus am Brückkopf inszeniert.
Ein Trio auf dem Konzertpodest vor der Rückwand der Bühne, sanft summt Susanne Engelhardt alias Charlotte im grün-schillernden Reifrockkleid ins Mikrofon, Olaf Danner als ihr Verlobter und späterer Ehemann Albert schlägt am Schlagzeug den Rhythmus, Werther Daniel Breitfelder klimpert am Klavier. Drei verschieden farbige Lampions leuchten über ihren Köpfen. Mit dieser musikalischen Harmonie beginnt und endet Martin Schulzes „Werther“ - Abend über eine Dreiecksbeziehung, die keine so friedliche Lösung hat, sondern bekanntlich mit dem Selbstmord Werthers endet.
Die erzählerische Distanz, mit der der junge Goethe seine eigene unglückliche Liebe zu Charlotte Buff in Wetzlar nicht in einem Drama vergegenwärtigt, sondern in einem Briefroman verarbeitet hat, greift Martin Schulze mit seiner Bühnenadaption auf.
Die ersten Sätze des Briefromans ertönen als Tonbandeinspielung, langsam löst sich Daniel Breitfelder vom Klavier und steigt in die Rolle des Werther ein. Als sanfter Freund der Kinder und einfachen Leute, als immer leidenschaftlicherer Verfechter eines bedingungslos gefühlsbetonten Lebensgenusses als Gegenpart zu Alberts rationaler Gelassenheit.
Klug hat Martin Schulze die Kernsituationen aus der Textvorlage herausgeschält,
durch Textwiederholungen und Textschleifen die Schlüsselszenen verstärkt.
Unaufhörlich umkreisen die drei Protagonisten einander, der störende Dritte ist immer anwesend. Albert beobachtet noch von seinem Platz am Schlagzeug aus die erste Begegnung zwischen Werther und Lotte und ihren euphorischen Tanz. Werther ist präsent, wenn Albert und Lotte als Liebespaar schmusen und turteln.
Und dennoch scheint jede Figur meist nur für sich zu existieren, als fänden ihre Begegnungen nur selten auf der selben Realititätsebene statt. Ein überdimensionaler Bilderrahmen in der Mitte der Bühne trennt die handelnden Figuren und muss oft übersprungen werden, um in die Welt der anderen einzudringen. Lotte steht manchmal mit unbewegtem Gesicht an der Rampe, als sähe sie einer fremden Geschichte zu.
Es sind eher die trivialen Szenen, in denen sich die drei Protagonisten wirklich nahe kommen. Ein köstlich freundschaftlicher Dialog von Mann zu Mann zwischen Albert und Werther, Werthers Geschenke auspacken zwischen Albert und Lotte mit dem Bilderrahmen als Sofa.
Und in den Momenten der höchsten Emotionen – bei Werther und schließlich auch bei Albert, schafft die Mikrofonverstärkte Bühnenperformance Distanz zur ausweglosen Qual der Dreieckskonstellation. Werthers Liebesleiden ist eine Selbstdarstellungsnummer und geht allen auf die Nerven, und das führt schließlich die Lösung herbei.
Lotte vergießt ein paar Tränen, dann kehren Albert und Lotte zu einem sanft einfühlsamen Ehedialog zurück, während Werther, nun ganz ruhig, seinen Entschluss zum Selbstmord formuliert. Eine schöne Schlussszene und eine der wenigen wirklich berührenden Situationen, in denen es gelingt, Gefühle nicht nur zu behaupten, sondern auf der Bühne entstehen zu lassen.
Denn dies scheint mir das Manko dieser sehr klug und sorgsam entwickelten Bühnenfassung zu sein: Bei aller Intensität und Exaltiertheit von Daniel Breitfelders Gefühlsüberschwang, seinem heutig direkten Ausdruck von Verzweiflung und Wut, Olaf Danners ruhig und genau gesetzten Reaktionen und Susanne Engelhardts unbefangen reizvollem Charme: Der Leidensdruck aller Beteiligten dieser Menage à trois wird zwar wortreich und mit dynamischen Aktionen behauptet, aber kaum erlebbar. Die großen Gefühle bleiben intelligent strukturierte Zitate, die sich im Falle von Werther in äußerlich vehementer Selbstdarstellung entladen, und die man wie durch den Bilderrahmen in Frank-Tilmann Ottos Ausstattung mit distanziertem Interesse bestaunt.
Regisseur Martin Schulze und Hauptdarsteller Daniel Breitfelder haben im Kontrast zur spröden Dramaturgie des Abends immer wieder die Flucht nach vorne angetreten – Werther darin nicht ganz unähnlich. Gegen Liebesschmerz, Empfindsamkeit und Sentiment hilft die Übersteigerung, die Selbststilisierung der eigenen Emotionen zum singulären ekstatischen Lebensprinzip. Niemand hat je so gelitten, niemand je so geliebt. Und niemand konnte es je so emphatisch ausdrücken. Das kann spannend sein, nur glaubhaft, authentisch ist es nicht.
Wie aber, wenn ein heutiger Theaterbesucher Lust hätte, Werthers Leiden, und das von Lotte und Albert für im übrigen wunderbar knappe und dichte 80 Minuten ganz einfach mitzufühlen?
Isabella Kreim