Klassen Feind
Jugendstück von Nigel Williams
Bei mir herrscht Ordnung in der Klasse, Kapiert! Oder ich schlag dich windelweich! Sechs 16- bis 18-jährige Schüler warten in einem Klassenzimmer auf ihren neuen Lehrer, den „Klassen Feind“. Sie sind nur noch darauf aus, den nächsten Lehrer fertig zu machen. Alle, die bisher die Klasse unterrichten sollten, haben aufgegeben. Als niemand kommt, entschließen sie sich, selbst Lehrer zu spielen, und jeder der Jungen hält eine „Stunde“. Thema frei wählbar. Im Verlaufe dieses Unterrichts erzählen die Schüler von sich, ihren Nöten, ihrem Hass, ihrer Angst und ihren Sehnsüchten. Nur vordergründig kreist der Unterricht dabei um Sex, Gartenbau und Ausländerhass, zugleich offenbaren die verhassten Schüler, warum sie so ziellos, roh und hasserfüllt wurden, wie sie jetzt sind. Doch Fetzer, der Anführer, gibt sich damit nicht zufrieden. Er verlangt Antworten auf die wichtigsten Fragen: „Warum sind wir hier und wer hat das verbockt?“ Die Aggressivität untereinander steigt währenddessen stetig an und eskaliert in einem blutigen Konflikt, als sie erfahren, dass man sie aufgegeben hat – dass kein Lehrer mehr kommen wird. Es folgt der Zusammenbruch. Sie warten weiter bei offener Tür, aber die Schule ist aus. Zurück bleiben die Schüler – allein! Nigel Williams wurde 1948 in Cheshire in England geboren. Mit seinem Stück „Klassen Feind“ (Class Enemy) gelang ihm der internationale Durchbruch. Es wurde 1978 am Royal Court Theatre in London uraufgeführt. Williams erhielt dafür den Preis für das erfolgreichste Bühnenstück des Jahres 1978. Die deutsche Erstaufführung war im April 1981 an der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin, Regie führte Peter Stein.mit: Tobias Licht (Fetzer), Richard Putzinger (Vollmond), Aurel Bereuter (Koloss), Daniel Kersten (Pickel), Robert Putzinger (Pickel), Daniel Breitfelder (Angel), Eva Rodekirchen (Kebab)
- Regie:
- Iris Spaeing
- Bühne:
- Julia von Schacky
- Kostüme:
- Wiebke Meier
Premiere am
Kleines HausDauer: 105 Minuten
KULTURKANAL INGOLSTADT
– 24.04.2007
Nigel Willimas: Klassen Feind
Zu Iris Spaeings eindrucksvoller Inszenierung von Nigel Williams „Klassen Feind“, dem Theaterstück von Nigel Williams aus den 70er Jahren über Gewalt unter Jugendlichen.
Zu lautstarker Heavymetal-Musik knallen die Schüler das Mobiliar eines Klassenzimmers und allerlei Müll auf die Bühne von Julia von Schacky, zwischen die mit Graffiti-Sprüchen beschmierten Stellwände. Der Anfang macht sofort klar: Das Aggressionspotential ist hoch bei diesen Jugendlichen, wir können uns auf einiges gefasst machen.
Brutal haben sie bis jetzt jeden Lehrer und jede Lehrerin fertig gemacht und aus der Klasse geekelt, genüsslich spielen sie diese „Wixer und Ärsche“ von pädagogisch bemühten Lehrer- und Sozialarbeitertypen nach.
Jetzt wagt sich kein Lehrer mehr in diese Klasse, und so zwingen sie sich gegenseitig, eine Unterrichtsstunde zu halten. Denn sie wollen etwas lernen, fürs Leben lernen, gibt der dominante Fetzer als Aufgabenstellung für das Lehrer-Schüler-Spiel vor. Wenn sie keinen Lehrer drangsalieren können, versuchen sie sich eben gegenseitig zu provozieren und zu verletzen.
Der Schwule Angel soll über Sex referieren. Daniel Breitfelder spielt einen Punk, der sich in Entertainer-Überdrehtheit flüchtet, wenn er in die Enge getrieben wird.
Daniel Kersten als Pickel spricht über Gartenbau und wird wegen der Spießer-Sehnsucht seiner Familie, die er dabei offen legt, gedemütigt. Aurel Bereuter, der sich eigentlich lieber ängstlich in seinem Kapuzenshirt verkriechen möchte, wird in eine Hasstirade gegen Ausländer getrieben. Und Eva Rodekirchen, die flotte Russenbraut Natascha, findet zynische Anerkennung mit ihrer Lektion über ihre Sucht, Fensterscheiben aus Wut über ihre ständige Diskriminierung als Migrantenkind einzuwerfen.
Der Hauptkonflikt aber entbrennt zwischen den beiden Leithammeln Fetzer und Vollmond. Tobias Licht spielt mit sardonischem Grinsen den gnadenlosen Gruppenwolf Fetzer, Richard Putzinger gibt den gelassenen Gegenpart, der die Kontrolle über das Spiel zu behalten versucht und schließlich mit brutaler Härte den autoritären Lehrer gibt, der erklärt, wie man in armen Verhältnissen FLeischpflanzerl macht. Die eigentliche Provokation für Fetzer ist allerdings, dass Vollmond dabei von seinen blinden Eltern erzählt. Als Fetzer Anflüge von Betroffenheit spürt, rastet er aus. Seine Unterrichtsstunde heißt Fighten und Siegen. Gefühle, Mitgefühl, sind das Allerletzte, mit dem einer wie er zurecht kommt. Mach kaputt, was dich kaputtmacht – und das ist neben dem ganzen sozialen Umfeld die Unfähigkeit, mit den eigenen Schwächen und Verletzungen anders als mit Hass und Wut zu reagieren. Zudem fühlen sie sich von den Erwachsenen im Stich gelassen, kein Lehrer wird mehr kommen, niemand wird sich mehr ihrer annehmen.
Mit ihren hervorragenden sechs Darstellern hat Regisseurin Iris Spaeing die Verzweiflung hinter der Gewalt dieser Jugendlichen herausgearbeitet.
Die erwachsenen Schauspieler spielen Jugendliche mit kindlichen Marotten, schwer gestört, aber noch mehr verstört. Unsicherheiten und Ängste werden auch durch den Gruppendruck in Hass und Aggressionen kanalisiert. Mitleid ist Energieverschwendung und Schwäche. Gefühle sind uncool.
Dabei hat jeder auch seine anrührenden, stillen Momente, seine Sehnsucht nach Zuwendung. In irrealem Licht und psychedelischer Musik imaginiert Daniel Breitfelder den Lehrer, der kommen und sich ihrer annehmen wird. Tränenreich einsam und hilflos ist die Steinewerferin Natascha von Eva Rodekirchen, weil sie als Russin von Kind an ausgegrenzt wurde.
Und selbst Fetzer erleben wir als einen, der sich heimlich in Selbstgespräche flüchtet, weil niemand mit dem Jungen anders als wie zu einem gefürchteten Schlägertypen spricht.
Vor dem Hintergrund dieser emotionalen Defizite der Jugendlichen werden ihre brachialen Gewaltausbrüche bis fast zur Unerträglichkeit hochgetrieben.
Zudem tragen gerade die kleinen irrealen Momente dieser Inszenierung zur Glaubwürdigkeit der Figuren bei. Denn wir sind nicht in einer soziologischen Analyse der Probleme an der Rütli-Schule in Berlin oder anderswo, sondern im Theater. Und die sechs Darsteller sind Erwachsene und keine kaputten 16jährigen.
Dem Team ist jedenfalls eine Aufführung gelungen, die ganz schön an die Nieren geht.