Der Bus
Schauspiel von Lukas Bärfuss
Erika ist in den falschen Bus gestiegen. Eine Pilgerfahrt sollte sie nach Tschenstochau führen, das Licht in ihren Heimatort zu bringen. Der nämlich wird nur noch vom bläulich flackernden Schein der Fernseher erhellt. Nun fährt sie nicht gen Osten zur schwarzen Madonna, sondern zu einem Kurhotel in lichte Höhen. Als sie den Irrtum bemerkt, ist es zu spät. Man befindet sich bereits im nächtlichen Gebirge und Hermann, der Fahrer des Busses, hat es eilig. Einzig eine vereinsamte Tankstelle liegt noch auf dem dunklen Weg; spätestens dort will er die junge Frau ohne Fahrschein loswerden. Doch auch hier will man sie nicht. Es scheint, als bliebe Erika nichts anderes übrig, als sich der Reisegruppe anzuschließen und auf die baldige Rückfahrt des Busses zu hoffen - die aber ist nicht geplant. Wie eine wankende Arche, besetzt mit den des Lebens Müden, schleppt ein Reisebus eine verschworene Gemeinschaft der Erlösung entgegen in die Höhen der Serpentinen. Mit Hermann - in seiner Entschlossenheit bereits seltsam dem Leben entrückt - am Steuer, getrieben von dem nahenden Morgen und den Klagen der Elenden in den hinteren Reihen, schlingert der Bus wie ein komatöser Todesengel seiner letzten Fahrt entgegen - und Erika begreift, dass nicht zu Füßen der schwarzen Madonna, sondern hier all ihr Glaube gefragt sein wird. Bärfuss beschreibt eine Koalition der Lebensunwilligen, deren Vehikel ein von Esoterik, Siechtum und dünkelnder Verschwörung vibrierender Todesbus ist. Hoch in den Bergen, dort, wo die Welt noch schön ist, will man dieselbe für immer hinter sich lassen. Mit seiner aus der Zeit gefallenen, wunderbar eigenen Sprachpoesie gelingt Bärfuss erneut ein Theaterwerk von beeindruckender Symbolik und Intensität, groteskem Humor, außerordentlichem Gespür für den Zeitgeist und brillant gezeichneten Figuren. „Lukas Bärfuss, derzeit einer der wichtigsten jungen Theaterautoren, erzählt eine widerborstige und kompromisslose Geschichte, die im Kern nur von der gnadenlosen Konsequenz handelt, die die Religion fordert. In heutigen Zeiten von treuherziger Toleranzwut und aufgesetzter Verständnis-Innigkeit eine provokante Sache. Umso schöner, dass Bärfuss seiner Religions-Dramatik eine Menge bitter komischer Seiten abgewinnt und soliden Mut zum Kitsch hat.“ schrieb der SPIEGEL nach der Uraufführung im Februar 2005 am Thalia in Hamburg. Bärfuss wurde 1971 in Thun (Schweiz) geboren und arbeitet seit 1997 als Schriftsteller. Bisher legte er sieben Stücke vor, bekannt wurde er vor allem mit „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“. Die Welt schrieb: "Die eigentümlichen Bildwelten und die sprachliche Prägnanz seiner Texte weisen Bärfuss als einen Dichter unter den Theater-Autoren aus. Was seine Stücke darüber hinaus auszeichnet: sie beschreiben gesellschaftliche Defizite ohne Besserwisserei und menschliche Abgründe ohne Voyeurismus." Premiere: 25. November 2005 Großes Hausmit: Rebecca Kirchmann (Erika, eine Pilgerin nach Tschenstochau), Wilhelm Schlotterer (Hermann, der Fahrer), Chris Nonnast (Jasmin), Adelheid Bräu (Die Dicke), Peter Reisser (Karl), Gregor Trakis (Anton, der Tankwart), Rolf Germeroth (Herr Kramer)
- Regie:
- Dominik von Gunten
- Bühne:
- Daniel Roskamp
- Kostüme:
- Daniel Roskamp
Premiere am
Großes HausDauer: 150 Minuten, mit Pause
Augsburger Allgemeine
– 28.11.2005
Auf Erlösungs-Fahrt
Zunächst will die Reisegruppe (Chris Nonnast, Adelheid Bräu, Peter Reisser, Rolf Germeroth - alle ausnahmslos facettenreich agierend) und ihr Busfahrer (Wilhelm Schlotterer brutal und ungestüm, trotzdem verletzlich) Erika, die blinde Passagierin, aussetzen, später dann aber um keinen Preis mehr gehen lassen. Denn Erika (Rebecca Kirchmann anrührend naiv und gläubig) soll ein Wunder vollbringen. Die junge Frau begreift dadurch endlich, dass sie bei der letzten Fahrt einer lebensmüden Gesellschaft dabei ist und das ihr Glaube hier mehr gefragt ist, als in Tschenstochau. Auf der von Daniel Roskamp mit verstreut angeordneten Bussitzen auf dunkelgrauem Schotter minimalistisch ausgestatteten Bühne geht es um Religion, Einsamkeit, Verzweiflung und Liebe, Erlösung und das Seelenheil, um Schuld und Sühne.
Ingolstädter Anzeiger
– 02.12.2005
Gnadenlose Konsequenz in Regie und Bühnenbild
Eigentümliche Bilderwelten und die sprachliche Prägnanz setzt Regisseur Dominik von Gunten kompromisslos auf der von Daniel Roskamp nicht weniger radikal ausgestatteten Bühne um. Nach anfänglicher beim Publikum sich ausbreitender Ratlosigkeit versteht es der Regisseur vor allem in der zweiten Hälfte die Besucher mitzunehmen, auf dem Weg in die gnadenlose Konsequenz, die die Religion fordert. Er beschreibt, vom Bühnenbildner kongenial unterstützt, mit teilweise groteskem Humor ein Bündnis der Lebensunwilligen aus Esoterik, Siechtum und Mystifikation in einem unaufhaltsam dem Abgrund zusteuernden Todesbus.