Männer
Liederabend von Franz Wittenbrink
Acht Kerle von hart bis zart – Wagemutige, Wehmütige, Wilde, Weicheier – loten aus, warum ein Mann ein Mann ist – und ohne Frau nicht (sein) kann. Sie haben zärtliche Gefühle, Flugzeuge im Bauch, brechen die Herzen der stolzesten Frau’n, sind einfach sexy oder als Sex Machine unschlagbar. Titel des Liederabends von Franz Wittenbrink ist „Männer!“. Ort des Geschehen: Die Südkurve im Fußballstadion: Noch ist das Spiel nicht aus, und natürlich lässt keiner die absteigende Mannschaft im Stich. Ehrensache! Wer früher geht, ist ein Schwein. Und außerdem: Wohin denn auch? Nach Hause zur Ehefrau, die von der leidenschaftlichen Hingabe an das runde Leder nichts versteht? Nach Hause auf die Strafbank eines leeren Zimmers, in dem die Fanposter des Stürmers der einzige Gesprächspartner sind? Nach Hause ins elterliche Heim, wo einem die Mutter wegen der Bierfahne und der dreckigen Noppenschuhe wieder einmal die rote Karte zeigt? Stark bleiben, das Team mit aller Kraft unterstützen, aufbauen, noch ist nichts verloren. Da sitzen sie, stehen, springen, umarmen sich: Lassen alles raus, was sie in ihrem Alltag unterdrücken. 90 Minuten im Leben von Männern, die mehr über sie aussagen als jede Ehe. Das Stadion wird zum Spielplatz der Emotionen. Hier steht keiner unbemerkt im Abseits. Hier bleibt kein Foul ungestraft. Hier fühlen sie sich geborgen, aufgehoben in der Gemeinschaft der Fans. Hier werden alle zu einem Team. Und so gehen die Männer in die selbst gewählte Verlängerung, wird das Geschehen auf dem Rasen zum Katalysator für die eigenen Gefühle. Thema dieses neuen Liederabends von Franz Wittenbrink ist die Sehnsucht: all jene falschen und wahren Hoffnungen und Träume und Illusionen, die die Menschen mit sich herumschleppen und nicht loswerden können, oder die sie sich erfinden müssen, um sie groß vor sich herzutragen, oder die plötzlich aus ihnen hervorbrechen, ohne dass sie selber wissen, woher diese Sehnsüchte eigentlich kommen. Die Träger solcher Träume sind diesmal nicht "Sekretärinnen", sondern gestandene Männer. Männer in der Blüte ihrer Lebenslaufbahn, alle so stark und souverän und aufgeklärt. Die gern in Rudeln auftreten, um über sich, die Freunde und die Frauen zu reden. In deren großartigen Hüllen oft nur ein kleines Würstchen steckt: "Männer!" - ein psychologisch-musikalischer Striptease, würdiger Nachfolger von „Sekretärinnen“, die in den beiden vorangegangenen Spielzeiten in Ingolstadt und Umgebung tausende von Fans gefunden haben.mit: Aurel Bereuter, Alexander Leistritz, Axel Meinhardt, Simon van Parys, Peter Reisser, Dietrich Schulz, Enrico Spohn (Sportler), Gregor Trakis
- Regie:
- Pit Holzwarth
- Musikalische Leitung, Arrangements, Einstudierung:
- Walter Kiesbauer
- Musiker:
- Christoph Schultheiß
Premiere am
Großes HausDauer: 90 Minuten
Kulturkanal
– 01.05.2005
Viele Facetten und vor allem Widerhaken
Nach „Sekretärinnen“ nun wieder ein Liederabend von Franz Wittenbrink. Auf die Frauen folgen die „Männer“.
8 Männer singen 30 Songs, 90 Minuten lang. Mehr ist da eigentlich nicht.
Beliebte Popsongs von Peter Kraus bis Sting, präsentiert in einem gigantischen blauen Tribünenaufbau von Ausstatter Matthias Karch, in dem sogar noch eine Kneipe Platz hat. Was in dieser nachempfundenen Saturn-Arena aber stattfindet, ist meilenweit entfernt von den Events der Unterhaltungsindustrie.
Das Spiel beginnt mit einem der tragischsten Momente im Leben eines Mannes: Die Niederlage der heimischen Fußballmannschaft von der Tribüne aus mitansehen zu müssen. Ihre Kommentare, die Anfeuerungsrufe, die Enttäuschung singen die Fans auf die Musik von Mozarts Don Giovanni. Acht 8 unterschiedliche Männertypen aus allen Schichten, der Anzugträger, der Langhaar-Prolo mit dem Bauchfreien T-Shirt, der Sportverletzte mit den Krücken, der biedere Gemütliche, der massive Hawaiihemdträger, Alt-Cowboy. Nach dem Fiasko erstarren sie minutenlang und versuchen dann, die Niederlage männlich gefasst zu bewältigen. Aber selbst ein würdevoll gefasster Abgang misslingt. Je nach Charakter stolpern sie die engen Tribünenstufen hinunter, eine lange stumme Szene, bevor sich die Einsamkeit im Männerkollektiv gefühlvoll singend Bahn bricht.
Und ein solches Stolpern aus den Höhen eines vermeintlichen Triumphes, tiefe Abstürze aus den Gefühlshöhen der Liebe in den tiefsten Schmerz und wütenden Frust sind immer wieder zu erleben an diesem Abend.
Regisseur Pit Holzwarth hat seinen Männern nichts erspart, um schonungslos ihre Schwächen offen zu legen. Eklige Männerrituale münden nur kurz in James Bond- oder Westernhelden-Attitüden, erste Liebeseuphorie, Eifersucht und Verlassenwerden stürzen in den tiefkomischen Sumpf des männlichen Selbstmitleids.
Rockstars, Machos und Womanizer werden zu ganz kleinen erbarmungswürdigen, zum Kichern komischen Jammerlappen. Holzwarth spielt dabei meisterhaft auf der Klaviatur widersprüchlicher Gefühle. Sentimentalität wird wie in einem Kaleidoskop immer wieder gebrochen, sodass auch die Zuschauer ständig hin- und hergerissen werden zwischen mitfühlendem Gefühlssog und schadenfrohem Gekicher.
Und die beiden Musiker, Walter Kiesbauer und Christoph Schulz, unterstützen diese ironischen Brechungen und Understatements ganz herrlich. Kein mitreißender Sound, nur puristisches Klavier, das von einer Reihe anderer Instrumente, zitathaft ergänzt wird.
Holzwarth und Kiesbauer präsentierten uns die Schlager und Songs nie so, wie sie in den Charts funktionieren. Die musikalische Begleitung ist so nüchtern wie eine Korrepetitorprobe, dafür singt der Männerchorus die simplen Begleitharmonien und die Background-Huhuhus mit infam entlarvender Inbrunst. Statt entspannt plätschernden Gefühlen treibt der Regisseur seine Darsteller in exzessive Gefühlsorgien, um sie daraus desto tiefer in die triviale Komik abstürzen zu lassen.
Mit tränen- und wutumflorter Stimme trauert Dietrich Schulz seiner verflossenen Marie nach, und der sanfte Chorus des Ensembles „Ich trink auf dein Wohl, Marie“ klingt dabei so zuckersüß höhnisch, dass der Trägode in seinem männlichen Schmerz immer wieder zum Kotzen laufen muss.
Enrico Spohn schluchzt mit herzzerreißender Intensität Jacques Brels „Bitte geh nicht fort“ und stolpert dabei so tragikomisch die Treppe herunter, dass man Tränen kichern könnte.
Im Gegensatz zu „Sekretärinnen“, wo es noch Büroarbeiten wie Schreibmaschinenschreiben, Akten sortieren und einen Tagesablauf gibt, gibt es bei „Männer“ kein Handlungsgerüst. Aber der Regisseur tischt alles an Situationen auf, die das Männerleben zwischen Kneipe, Fußballplatz und Liebesnest, und vor allem alles, was das Theater zu bieten hat: Große Tragödie und Slapstick, absurde Groteske wie das Verstopfen einer Wasserfontäne mit Wiener Würstchen oder eine dadaistische Wort-Rhythmus-Performance von Aurel Bereuter auf das Wort „Supergut“. Regisseur Pit Holzwarth zappt ebenso virtuos durch die Gefühlsskalen der Zuschauer. Kaum glaubt man sich einfühlen oder gar genüßlich einlullen lassen zu können, kriegt man wieder die kalte Dusche ins andere Extrem.
Peter Reisser, in der Westsidestory, dem Weißen Rössl oder als Victor Frankenstein der Frauenliebling des Ensembles, beginnt völlig gegen diese Erwartungshaltung als schüchternes Muttersöhnchen in Anzug und Krawatte, und mutiert dann nach einer kurzen musikalischen 007- Phase zum rockig hartherzigen Macho mit nacktem Oberkörper – und dann: Heintjes Mama-Schnulze, von den 7 anderen Männern mit fiesen Klopfrhythmen verfremdet.
Herbert Grönemeyers Liebeslied „Flugzeuge im Bauch“ löst eine absurde Kettenreaktion von Abstürzen und Stürzen der anderen Männer aus und mündet in einer tristen Alkoholhymne. Und auch eine alberne Lachorgie fehlt nicht.
Das Ensemble (neben den bereits erwähnten Gregor Trakis, Alexander Leistritz und Axel Meinhardt und Simon van Parys als Gäste) spielt und singt diese chaotischen Gefühlswelten mit akribischer Inbrunst und spielerischem Witz.
Der Abend hat kurze beklemmend ungemütliche Momente, und trotzdem amüsiert man sich über die Männer, die so gerne Schweine sein möchten, und doch nur arme Schweine sind.
„Männer“ ist mit ganz vielen Facetten und vor allem Widerhaken höchst anspruchsvoll inszeniert, sodass man sich keineswegs in den Songs genüsslich baden kann. Und selbst die Zugaben sind hinterfotzig mitklatschfeindlich verhalten präsentiert und setzen so gar nicht auf populistisches Mitgejohle. Und trotzdem gab es Begeisterung bis zu Standing ovations nach der Premiere. Ein Musterbeispiel dafür, wie man – allerdings mit richtig viel vertrackter Arbeit - gute Unterhaltung machen kann.