Hunger und Gier (UA)
Ein musikalisches FilmTheaterSpektakel nach Motiven der Märchenoper »Hänsel und Gretel« von Engelbert Humperdinck
Musik: Walter Lochmann, Text: Knut Weber, Filmdialoge: Kevin und Tobias Schmutzler
Hunger ist das zentrale Motiv im Grimm´schen Märchen »Hänsel und Gretel« und in der gleichnamigen Oper von Humperdinck. Die Eltern lassen ihre Kinder im Wald zurück, weil sie ihre Sprösslinge nicht ernähren können. Unmenschlich ? Heute passiert das täglich in Afrika und anderswo: Eltern schicken ihre Kinder fort, nach Europa oder nach Amerika, in der Hoffnung, dass die Kinder die gefahrvolle und weite Reise überleben und die Familie irgendwann finanziell unterstützen. Gier bestimmt das Leben in unserer westlichen spätkapitalistischen Gesellschaft. Gier nach mehr – Geld, Reichtum, Leben, Sex, Glück…
Gier ist das Lebensgefühl unserer Zeit, das in den Panama-Papers oder dem Cum-Ex-Skandal seinen prägnantesten Ausdruck findet. Rücksichtslose Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen sind die logische Folge. Menschliche Verrohung, Vermüllung und Hunger sind das zentrale Motiv im Grimm'schen Märchen - zusammen mit dem Klimawandel bringen sie die Welt an den Abgrund. Hans und Gretel sind gierig. Gierig nach Macht und nach Geld. In der glitzernden Welt Bollywoods, die im indischen Mumbai auf krasseste Armut trifft, wittern sie ihre große Chance: aus den sich auftürmenden Müllbergen Profit schlagen. Sie suchen ihr Glück. Ohne Rücksicht auf Verluste. Sie erliegen dem süßen Sirenengesang der Hexe. Wenn das Hexenhaus verbrennt, lodert auch in ihnen ein Feuer. Ist es ein reinigendes Feuer oder tragen sie erst die Fackel des Bösen in die Welt ? »Hunger und Gier« ist ein multimediales Spektakel mit Theater, Dokumentartheater, Film, Video und Musik.
Die Ingolstädter Filmemacher Kevin und Tobias Schmutzler drehen Filmpassagen in fremden Welten, der Videokünstler Stefano Di Buduo verwandelt die Bühne in ein verwirrendes Labyrinth, Monika Gora besorgt die Ausstattung und Walter Lochmann komponiert eine Musik, die zwischen der Vorlage der Oper, zeitgenössischer Zuspitzung und für westliche Ohren fremden Klängen changiert. »Der Schein bestimmt das Bewusstsein. Nie war dieser Befund wirkungsmächtiger als heute. Fake News bestimmen Wahlen, unseren Alltag und unsere gesellschaftlichen Erzählungen. Wir profitieren alle von der deregulierten globalisierten Finanzwelt! Und wer am Hexenhäuschen knabbert, findet sich schnell selbst im Ofen wieder«, meint Regisseur Knut Weber.
Diese Ingolstädter Unternehmen unterstützen die Produktion »Hunger und Gier«:
mit: Peter Rahmani (Hans), Paula Gendrisch (Grete), Richard Putzinger (Vater), Antje Rietz (Mutter), Enrico Spohn (Hexe), Renate Knollmann (Jane Dew), Stephanos Tsirakoglou (Sandman), Péter Polgár (Curt)
- Musik:
- Walter Lochmann
- Text:
- Knut Weber
- Filmdialoge:
- Kevin Schmutzler, Tobias Schmutzler
- Musikalische Leitung:
- Walter Lochmann
- Regie:
- Knut Weber
- Regie Film:
- Tobias Schmutzler, Kevin Schmutzler
- Ausstattung:
- Monika Gora
- Video:
- Stefano Di Buduo
- Dramaturgie:
- Gabriele Rebholz, Dr. Judith Werner
- Choreografie:
- David Williams
- Klangperformance (live), Vibrafon:
- Jakob Dinkelacker
- Regieassistenz:
- Pauline Knabner
- Videoassistenz:
- Momchil Alexîev
- Produktionsleitung Theater:
- Rainer Steinhilper
- Produktionsleitung Film:
- Lydia Wrensch
- Künstlerisch-technische Produktionsleitung:
- Manuela Weilguni
- Theatervermittlung:
- Bernadette Wildegger
- Inspizienz:
- Falco Blome
- Soufflage:
- Ulrike Deschler
Premiere am
Großes Haus
»So geht Märchen heute: Als Neudeutung eines alten Erzählstoffs in gegenwärtigem Gewand, als Spiegel für globale Entwicklungen. In Knut Webers und Walter Lochmanns Musikdrama ›Hunger und Gier‹, einer umwerfenden, begeisternden, atemberaubenden Neudeutung des ›Hänsel und Gretel‹-Stoffs am Stadttheater Ingolstadt, wird aus dem Wald eine Müllhalde in Indien, wird aus der Hexe die Kommandantur des seelenlosen Raffens als Selbstzweck und wird aus der superarmen Familie eine extrem reiche, die über Leichen geht. Der Überfluss einer Inszenierung auf vielen Ebenen, mit phantastischen Filmeinspielungen, toller Musik voller Stilvielfalt, einer fulminanten Handlung voll Bühnen- und Kostüm-Zauber, einer Reise in die Phantasie und die Realität zugleich, geht hart ins Gericht mit dem Überfluss einer Konsumgesellschaft, die sich einen Dreck schert um die Folgen ihres Lebensstils. Moralisches Theater, grandios erzählt. Das Publikum ist bei der Premiere deutlich berührt und dankt mit Ovationen. Knut Weber, der Intendant des Hauses, hat sich mit ›Hunger und Gier‹ an eine Überschreibung der Humperdinck-Märchenoper ›Hänsel und Gretel‹ gemacht und verbindet geschickt mehrere Handlungsstränge so miteinander, dass sie zuletzt auf Punkt und mit Biss aufgehen. […] Dazu eine wilde, bunte Mischung mit prächtigen Kostümen auf einer doppelstöckigen Bühne (Ausstattung: Monika Gora), angeschoben von den lebhaften Kompositionen von Lochmann, die sich bewegen von Klassik über Blues bis Bollywood- Pop (inklusive meisterhaftem Videoclip). Dazu kommen die präzise Live-Musik, Klangdesign von Jakob Dinkelacker und als emotionale Höhepunkte die Einsätze des Chors ›Martin Singer‹. Die Inszenierung von Weber, die alles auffährt, was sein Haus hergibt, gibt für kein Sekündchen nach, wird ständig mit nachwachsender Druckluft versorgt. Das ganze phantastische Ensemble von Musikern und Schauspielern garantiert einen märchenhaften, vieldimensionalen Showabend mit konsequenter Botschaft.«
»Knut Weber ist ein Aufklärer im besten Sinne. Sein Stück, das genüsslich mit den Motiven von Elend, Überfütterung und Reichtum spielt, kommt zum Glück ohne erhobenen Zeigefinger daher. Er stellt die Fakten aus und überlässt es dem Zuschauer, aus seinem dicht gesponnenen Assoziationsgeflecht aus deutschem Märchenwald, Frankfurter Bad Banks und indischen Slums Schlüsse zu ziehen. Das Ganze wird musikalisch untermalt von Walter Lochmann, der live mit einem kleinen Orchester Musik und Lieder aus Humperdincks Oper wie ›Brüderchen, komm tanz mit mir‹ höchst humorvoll in Disco, Rap und Bollywood-Sause zerlegt. Großer Applaus.«
Gesamten Artikel lesen»Mit so viel Botschaft und so viel Technik wird wohl keine Produktion des Theaters Ingolstadt in dieser Spielzeit noch aufwarten können. Autor und Regisseur Knut Weber hat mit ›Hunger und Gier‹ ein ›musikalisches Film-Theater-Spektakel‹ nach Motiven der Oper ›Hänsel und Gretel‹ realisiert. […] Das Thema ist global, also denkt man groß. Das wird auch zur Premiere deutlich: Weber schont Prospekte nicht und nicht Maschinen. Es scheint, als berste die Bühne unter dem Druck dringlicher Mitteilungen. […] Stefano Di Buduo verwandelt das Große Haus in ein Rundumkino, Lichtspiele bis in die letzte Sitzreihe, viel zu sehen, viel zu lesen. […] Nach der Pause wächst sich der grausame Märchenkrimi fast zum Musical aus. Ob gesprochen oder gesungen, leibhaftig oder digital: Es ist jede Menge Moral im Spiel, die Liebe hat – schöne Erinnerung an alte (Spiel)Zeiten – auch ihren Auftritt. Webers Gegenwartsbeschreibung: gnadenlos und hoffnungslos. Ovationen.«
»Ein multimediales Spektakel hat Knut Weber ersonnen – mit Theater, Film, Videokunst und Musik. Und es ist erst mal spannend, wie sich die Welten vermischen. Wie die einzelnen Figuren eingeführt werden, ihr Handeln motiviert wird, Landschaften und urbane Hotspots aufgefächert werden und sich die Geschichte aus vielen kleinen Facetten zusammenfügt. Umwerfend sind die Kamerabilder von Kevin und Tobias Schmutzler – ob aus dem Großstadtdschungel Mumbais oder dem Märchenwald. Das Theater verwandelt sich in einen Kinosaal, denn die gesamte Bühne und sogar die Seitenwände des Portals werden zur Projektionsfläche für die Filmeinspieler […]. Raffiniert werden dabei die Bildebenen Übereinander gelagert. Verirren sich die erwachsenen Kinder in den Slums von Mumbai, gehen auch die Märchenkinder im Wald verloren. Und die Suche des Vaters führt filmisch durch alle Welten. Das ist gut gemacht, sehr trickreich (grandios der finale Tanz auf dem Müllberg), immer wieder überraschend und funktioniert dann am besten, wenn die Schauspieler mit ihren filmischen Alter Egos interagieren. […] So kunstvoll wie faszinierend sind Stefano Di Buduos Videoprojektionen, mit denen er alle Räume bespielt, Theater- und Filmwelt verknüpft, eindringliche Atmosphären schafft. […] Passend dazu Jakob Dinkelackers Sounddesign: düstere, durchdringende, verzerrte Klänge. Walter Lochmann hat Musik komponiert, die zwischen Humperdinck und Bollywood mäandert, das alte Kinderlied von ›Hänsel und Gretel‹ in zahlreichen Variationen zitiert und den Schauspielern grandiose Auftritte beschert: Highlight des Abends sind natürlich der Hip-Hop-Rap über das Müll-Business und die phänomenale ›Fuck Karma‹-Choreografie mit indischen Kids. Aber auch das ›Say don’t be evil, Baby‹, das Enrico Spohn als Hexe intoniert, Renate Knollmanns ironische ›The Winner takes it all‹-Pop-Nummer und vor allem der unglaubliche Chor (Leitung Martin Singers: Olivia Wendt) sorgen für Gänsehautfeeling. Überhaupt besticht das Ensemble durch fantastische sängerische Qualitäten. […]« »Paula Gendrisch und Peter Rahmani bilden ein erfrischendes Geschwisterpaar, dessen anfängliches Spiel sich mehr und mehr radikalisiert. Richard Putzinger und Antje Rietz […] schließlich schlüpfen in die Rollen des ruchlosen Elternpaar: raffgierige Monster im Business-Outfit mit cooler Fassade. […] Es ist ein ambitioniertes Projekt: die Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die reale Kluft zwischen Arm und Reich, die Überwältigungsstrategie, mit der alle Künste gebündelt werden. […] Nach drei Stunden gibt es dafür langen Applaus.«
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