Lauf doch nicht immer splitternackt herum
Georges Feydeau
Farce
»Ich frage dich, warum du im Hemd herumläufst, und du antwortest, indem du über den Parlamentarismus herziehst. Das hat überhaupt nichts miteinander zu tun!«
Ehefrau brüskiert Abgeordneten. Sie will sich einfach nicht an die Regeln halten. Am frühen Mittag ist sie noch immer nicht so angezogen, wie es sich schickt. Das Personal schaut pikiert, der Abgeordnete tobt. Sie zieht sich schmollend zurück. Dann kommt Besuch. Ein Politiker der gegnerischen Partei, aber Madame ist noch immer nicht vorzeigbar. Sie lebt ihr Leben, für die Karriere ihres Mannes hat sie nur ein spöttisches Grinsen übrig. Dann erscheinen auch noch ein junger Journalist und eine Wespe. Die sticht zu – dahin, wo der Körper unaussprechlich wird. Der Abgeordnete gerät an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Ein Teil der Einrichtung geht kaputt, der Nachbar schaut rüber, die Konvention gerät ins Wanken. Aber was ist das eigentlich, die Konvention? Madame steht unkonventionell darüber, für sie zählt allein die
Natürlichkeit. Neben den großen Komödien wie »Der Floh im Ohr« oder »Wie man Hasen jagt« hat Georges Feydeau noch eine Menge Einakter geschrieben. Sie sind inzwischen allerdings größtenteils in Vergessenheit geraten. Im französischen Boulevardtheater waren sie beliebt und begehrt: kurze, sehr witzige Stücke als Abendunterhaltung. Der große Erfolg zwang Feydeau, immer mehr dieser kleinen Dramen in immer kürzerer Zeit zu schreiben. Bald waren die bekannten Konstellationen des Boulevards ausgereizt. Und Feydeau wagte sich nach vorne, ins Reich des damals Unkonventionellen. Allein der Titel dieser Komödie dürfte eine Provokation gewesen sein. Die Männer, die sich hier lächerlich machen, entstammen einer Schicht, über die eigentlich nicht gelacht werden sollte: ein Abgeordneter, ein Bürgermeister, ein Journalist. Feydeaus Komödie zielt exakt auf die Doppelmoral des neuen Bürgertums. Der heutige Regisseur dieser damaligen Provokation outet sich übrigens als überzeugter Komödienfan. »Die Komödie ist für mich die Urform & die Krone des Theaters. Eine Komödie bis ins Unermessliche zu treiben, ist für mich Droge. Und eine Droge muss knallen... wenn nur der halbe Zuschauerraum lacht, ist es keine Komödie!«, sagt Ostrowski.
mit: Enrico Spohn (Ventroux), Teresa Trauth (Clarissa), Jan Beller (Victor), Olaf Danner (Hochepaix), Matthias Zajgier (DeJaival)
- Regie:
- Miguel Abrantes Ostrowski
- Dramaturgie:
- Krisztina Horvath
- Bühne:
- Maximilian Lindner
- Kostüme:
- Cátia Palminha
- Regieassistenz:
- Pauline Knabner
- Künstlerisch-technische Produktionsleitung:
- Manuela Weilguni
- Inspizienz:
- Eleonore Schilha
- Soufflage:
- Constance Chabot-Jahn
Premiere am
Studio im Herzogskasten
In der Kritik des Donaukurier, werden insbesondere die Schauspieler gelobt: »Applaus, Applaus, Applaus für diese fabelhaften Schauspieler, die rund 75 Minuten lang in atemberaubender Geschwindigkeit Pingpong-Dialoge abfeuern und sich dazu in einem skurrilem Körperballett drehen, wiegen, biegen, beugen. […] Assoziationen aus allen Bereichen werden hier in die Sprechduelle eingefügt, […], alles, was sich reimt sowieso. Kunstvoll ist das gemacht – und mit irrwitzigem Tempo und höchst präziser Sprechvirtuosität dargebracht. Regisseur Ostrowski verfügt über ein exzellentes Schauspielensemble: Im Zentrum Enrico Spohn, der als scheinheiliger Abgeordneter wahrhaft eine Sensation ist. An seiner Seite eine famose Teresa Trauth als seine überspannte Gattin. Entzückend Neuzugang Jan Beller als gewitzter Diener, der sich als wahres Sprachenwunder entpuppt. Olaf Danner und Matthias Zajgier als Bürgermeister und Journalist kennt man sowieso als sehr präzise agierende Schauspieler. Das komisch Manierierte können sie auch. Eine tolle Truppe also. In tollen Outfits. Denn Cátia Palminha hat ihnen Körperkostüme geschneidert: fleischfarbene Ganzkörperanzüge, die mal hier, mal dort ausgestopft sind, und deren Anmutung von Nacktheit mit hübschen Accessoires verstärkt werden […]. Das macht natürlich etwas mit den Figuren – und Regisseur Ostrowski setzt diese Frivolität aberwitzig mehrdeutig in Szene. Von Bühnenbildner Maximilian Lindner hat er sich großformatige Bilder anfertigen lassen […], die den Akteuren als Spielmaterial dienen: als Staubsauger, als Zimmerwände, als Cabrio, Pferd, Ausweis. Und das sind eigentlich die schönsten Momente der Inszenierung – wie überraschend die Schauspieler damit umgehen.«