Ausweitung der Kampfzone
Nach dem Roman von Michel Houellebecq
»Ich spüre meine Haut wie eine Grenze«
Mord aus Langeweile. Endlose Autobahnen. Provinz. Hotels. Eines wie das andere. Unpersönlich und kalt. Beruflich Reisende. Und leere, graue Wochenenden. Ein Kollege teilt dieses Schicksal. Um nicht in völliger Depression zu versinken, gehen sie zusammen aus. In die Discos der Provinz. Und erzählen sich Frauengeschichten, die nur in ihrer Phantasie existieren. Aber die tanzenden Frauen um sie herum, die sind aus Fleisch und Blut. Und Blut wird vergossen. In dieser Geschichte. Ein echter Mord und eine Erzählung, die Ernst macht mit der Phantasie. Was passiert, wenn die Machtphantasien nicht mehr ausreichen, wenn die Phantasien Realität werden wollen? Und was macht der Mord aus den Mördern?
Zum zweiten Mal, nach »Unterwerfung«, wird ein Roman von Michel Houellebecq zur Vorlage eines Ingolstädter Theaterabends. Houellebecq gilt als Provokateur, hat unzählige Preise bekommen, ist als Sänger getourt. Viele Theater haben seine Stoffe auf die Bühne gebracht. Sein frühes Werk »Ausweitung der Kampfzone« (1994) wurde verfilmt und als Hörspiel bearbeitet. Allerdings wurde es durch den Skandal um das Folgebuch »Elementarteilchen« zunächst in den Schatten gestellt. Regisseur Karademir sagt über den Stoff: »Die Kampfzone ist der Turbo-Kapitalismus, die freie Sexualität und die sogenannte Spaßkultur. Die längst überfällige Abrechnung mit der Zone. Laute Musik, Tanz und keine Zeit für den Weltuntergang. Der erste Houellebecq war auch der beste Houellebecq.«
Bitte beachten Sie, dass in der Inszenierung »Ausweitung der Kampfzone« Stroboskopeffekte zum Einsatz kommen.
mit: Sarah Schulze-Tenberge, Ralf Lichtenberg, Péter Polgár, Maik Rogge, Enrico Spohn (Ich-Erzähler), Andrea Frohn
- Regie/Choreografie:
- Barish Karademir
- Tanz:
- Tatiana Diara, Kirill Berezovski
- Sounddesign und Performance:
- Simon Rein
- Videodesign:
- Miho Kasama
- Ausstattung:
- André Schreiber
- Dramaturgie:
- Krisztina Horvath
- Regieassistenz:
- Lisa-Maria Schacher
- Theatervermittlung:
- Kathrin Lehmann
- Künstlerisch-technische Produktionsleitung:
- Manuela Weilguni
- Inspizienz:
- Annette Reisser
- Soufflage:
- Ulrike Deschler
Premiere am
Kleines Haus
Barish Karademir habe den Stoff aus Houllebecqs Roman in einer unglaublich spannenden, hoch ästhetischen Tanz-Theater-Fassung, die mit minutenlangem Beifall und Bravorufen gefeiert wurde, ins Kleine Haus gebracht. »Karademir greift den episodenhaften Charakter des Romans auf, verbindet aber die einzelnen Spielszenen mit großen Tableaus. Seine Akteure tanzen und taumeln durch eine gleichgültige Welt. […] Irgendwo beginnt bebend eine Bewegung, setzt sich fort im nächsten Spieler, gewinnt an Kraft, erzeugt Resonanzen, kulminiert in expressiver Wucht oder verglimmt in Slow Motion. André M. Schreiber hat dafür eine so schlichte wie funktionale Bühne auf zwei Ebenen gebaut, auf der man ständig unter Beobachtung steht. [...] Mehr als Stühle und Mikros stehen den Performern als Requisiten kaum zur Verfügung. Und vor allem das ist beeindruckend – wie sie die Welt des Ich-Erzählers nur durch ihre Körper erfahrbar machen. Andrea Frohn, Sarah Schulze-Tenberge, Ralf Lichtenberg, Péter Polgár, Maik Rogge, Enrico Spohn und Tatiana Diara agieren mit großer Energie und subtilem Witz, mit Anmut und Raffinesse. Jeder für sich – und vor allem als Ensemble . […] Auch in Houellebecqs durchökonomisierter, übersexualisierter, komplexer Gegenwart befinden sich die Figuren im fortwährenden Kampf. Für diesen Kampf findet Karademir eine Ausdrucksform, die weit über Sprachliches hinausweist. Und weil er zudem über ein hervorragendes Ensemble verfügt, das sich mit Lust auf dieses postdramatische Theater einlässt, durchdringt er Houellebecqs Geschichte in all ihren Facetten. […] Ein starker Abend ist das, der sich mit Miho Kasamas fantastisch visualisierten Bilderstürmen und Simon Reins elektronisch flirrendem Sounddesign zu einem grandiosen Gesamtkunstwerk verbindet. Besser als das Buch!«
»Mit einer ästhetischen Ausweitung der Spielzone bringt Regisseur und Choreograph Barish Karademir Michel Houellebecqs Debütroman ›Ausweitung der Kampfzone‹ auf die Bühne im Kleinen Haus des Stadttheaters. Ein Hörbuch mit verschiedenen Sprechern als Ich-Erzähler, Tanz- und Bewegungs-Theater, überlagert und verzahnt mit der zusätzlichen audiovisuellen Ton- und Bildspur eines durchgängigen Soundtracks von Simon Rein und den Videoprojektionen von Miho Kasama […]. Dieser multimediale und multiperspektivische Zugriff tut dem Roman gut, treibt ihm die penetrante Larmoyanz dieses Ich-Erzähler aus, der da in einer Mischung aus gesellschaftsanalytischem Essay und persönlichem Lebensbericht über seinen freudlos-frustrierten Lebensüberdruss Auskunft gibt. […] Gegen die Tristesse des Protagonisten […] setzt Regisseur und Choreograph Barish Karademir immer wieder die emotionale Energie der synchronen Bewegungen des Ensembles, setzt damit Zäsuren, verfremdet und übersetzt die realen Situationen. Das Tanztheater abstrahiert von den banalen Schauplätzen Büro, Studentenbar, Disco und zieht mit der körperlichen Ausdruckskraft eine andere Erzählebene ein, die auf ihre Weise, etwa durch automatisierte Bewegungen den monotonen Büroalltag, die Vereinzelung des Losers inmitten der fröhlichen Diskomädchen oder durch kollektive tänzerische Zusammenbrüche den Absturz der Hauptfigur spürbar macht. […] Auch Ausstatter André M. Schreiber trägt zu den eindrucksvollen Bildwirkungen dieser Inszenierung bei. Unter dem bespielbaren Ballustradenpodest lassen sich silbrig-glänzende Lamellenvorhänge öffnen. Es entstehen geschlossene Räume von klaustrophobischer Enge, in denen die Tänzer/Schauspieler wie in Schaufenstern in sichtbar gemachter Isolation agieren. Andrea Frohn, Sarah Schulze-Tenberge, Ralf Lichtenberg, Peter Polgar, Maik Rogge, Enrico Spohn und die Tänzerin Tatiana Diara performen diese Überlagerung von Textflächen und Tanztheater hervorragend. Und die abwechslungsreiche Ästhetik dieser Inszenierung lässt auch das Publikum das konventionelle Identifikationstheater nicht vermissen, wie der lange Jubel nach der Premiere am Donnerstag gezeigt hat.«