kudlich (DE)
eine anachronistische puppenschlacht
Thomas Köck
Köcks anachronistische puppenschlacht ist ein aberwitziger, sprachlich virtuoser Parforceritt durch die Geschichte. Mit seinem vielschichtigen Humor spannt der Autor den Bogen zwischen 1848 und der Jetztzeit. Der 25jährige Hans Kudlich zieht als jüngstes Mitglied in den österreichischen Reichstag ein. Der Bauernsohn gibt den entscheidenden Impuls für die Aufhebung der Leibeigenschaft. Aber die befreiten Bauern danken es ihm nicht. Weil sie jetzt Kredite brauchen für ihre Höfe, führt sie die neue Freiheit direkt in die Abhängigkeit von der frisch gegründeten Raiffeisenbank: »ach kudlich, wir sind befreit jetzt neurotisch einsam gehetzt und immer auf der suche nach neuen märkten spar dir die revolution kauf dir lieber eine biomolke.« Und statt ihm folgen sie lieber seinem Kontrahenten, dem Rechtspopulisten »wenzel bumsti hofer«…
Köck schafft so ein assoziationsreiches Textmassiv, das an Elfriede Jelinek erinnert: Wir Heutigen begegnen unseren Vorfahren, Arabella Kiesbauer trifft auf Georg Büchner und ein »frisch restaurierter« Chor, der es sich auf einem Donaubadeschiff gemütlich macht, fragt den jungen Kudlich, ob er »denn auch so einer sei ein solcher der das eigene volk umtauschen möcht gegen ein anderes.« Michael Simon, der 2011 in Ingolstadt Elfriede Jelineks »Winterreise« präsentiert hat, wird Köcks Sprachoper ((über Bauernbefreier, Populisten & Banker)) bildstark in Szene setzen.
Im Anschluss an die Vorstellung am 11. April 2018 findet ab ca. 21:50 Uhr im Großen Haus ein Publikumsgespräch mit Autor Thomas Köck, Regisseur Michael Simon, Dramaturg Tilman Neuffer, Mitgliedern des Ensembles und Nina Peters vom Suhrkamp Verlag statt, zu dem wir Sie herzlich einladen. Moderiert wird das Gespräch von Dr. Isabella Kreim.
mit: Sandra Schreiber (hans kudlich, revoluzzer/Sandra Schreiber), Teresa Trauth (hermann kudlich, bruder/andreas, volksrocknroller/Teresa Trauth), Enrico Spohn (lena, aus dem osmanischen reich um kobani entflohen/Enrico Spohn), Ariane Andereggen (kicklHofer, bürgermeisteranwärter/georg büchner, dichter/Ariane Andereggen), Jan Gebauer (arabella, journalistin/staatskörper/Jan Gebauer), Statisterie (der heimatchor), Emma Putzinger (das kind), Greta Voss (das kind)
- Regie und Bühne:
- Michael Simon
- Regie-Mitarbeit und Dramaturgie:
- Tilman Neuffer
- Chorregie:
- Ariane Andereggen
- Kostüme:
- Kerstin Grießhaber
- Regieassistenz:
- Alexandra Nack
- Künstlerisch-technische Produktionsleitung:
- Manuela Weilguni
- Kostümbildassistenz:
- Elena Friesen, Johanna Rehm
- Bühnenbildassistenz:
- Franziska Schweiger
- Soufflage:
- Constance Chabot-Jahn
- Inspizienz:
- Falco Blome
Premiere am
Großes Haus
Als Inszenierung, die »Erwartungen an einen geordneten Theaterabend konsequent unterläuft«, wird Michael Simons Fassung von »kudlich« in der Süddeutschen Zeitung bezeichnet: »Es herrscht die Antilogik der Farce beziehungsweise des Kasperletheaters, wo Großes klein und Kleines groß wird. Denn Simon weiß freilich, was er da tut«, wenn er auf der Bühne »klug (…) einen Guckkasten wie beim Kasperletheater« aus Schildern mit Stichworten gestaltet. Für den Rezensenten »lohnt [es] sich, sich auf diese widerständige Puppenschlacht einzulassen. Zu erleben ist eine Inszenierung, die nur scheinbar banal daherkommt. In Wahrheit aber jede Menge Theatergeschichte von Nestroy über Graf von Pocci bis Brecht und Jelinek atmet«. Gelobt wird auch das Ensemble, »dem man das Vergnügen am Larifari-Treiben ansieht«, und die »überaus agile« Sandra Schreiber, die »ganz hinreißend Kudlich als Hans Dampf-Revoluzzer in allen Gassen« spiele. So lautet das Resümee: »Bitterer, böser, aber auch verspielter wurde zuletzt selten über die Gegenwart und ihre aktuellen Debatten – etwa über Heimat, Ein- und Ausgrenzung oder über den zunehmend alle Lebensbereiche beherrschenden Primat der Ökonomie – reflektiert«.
»kudlich« sei »das Kernstück der aktuellen Spielzeit, die nicht nur die Gegenwart kritisch unter die Lupe nimmt, sondern vor allem Haltung einfordert. Und sich mit dem Motto ›Wir sind das Volk!‹ eine Parole von den Populisten zurückholt, die Georg Büchner einst in ›Dantons Tod‹ artikulierte«. Autor Thomas Köck »verwebt Restauration, Rebellion und die Aufstände von 1848 mit Figuren und Ereignissen des 20. und 21. Jahrhunderts, mit Flucht und Freiheit, Fremdenhass und Populismus. Sein Text zeichnet sich durch »eine Rhythmik und Musikalität« aus, meint die Rezensentin des Donaukuriers, er sei »assoziativ, komplex und poetisch, der Realität abgelauscht und historisch verfremdet, so vielgestaltig wie vielschichtig«. Regisseur Michael Simon gelinge es »auf kunstvolle Weise (…) Köcks sprachliche Vehemenz in kraftvolle Bilder« umzusetzen. »Spannend[e]« Bühnenbilder zeige er ebenso wie Köcks Sprache »in ihrer Klarheit und Schönheit«. Denn die Sprache gilt in »kudlich« als »Politikum (…), weil sie nicht mehr nur Worte transportiert, sondern ganze Ideologien«. Großes Lob auch für die Darsteller: Regisseur Simon »lässt seine fabelhaften Schauspieler die Texte sprechen wie Musik. Federleicht klingt das, komisch, ironisch. Mit Sandra Schreiber, Teresa Trauth, Ariane Andereggen, Enrico Spohn und Jan Gebauer hat er auch ein Darstellerquintett zur Verfügung, das vor Energie und Spielwut geradezu birst. Das präzise ist und präsent bis in die hintersten Bühnenwinkel. Das gekonnt aus den Rollen fällt, köstliche Bühnentode stirbt und die Kunst der Manipulation beherrscht«. Damit lautet das Fazit: »Alles stimmt an dieser Inszenierung«. Beeindruckend findet die Rezensentin den »klug gestrichene[n] Text, die eindrucksvolle Bühne, die herrlich puppigen Wunderland-Kostüme von Kerstin Grießhaber, de[n] gut geführte[n] 18-köpfige[n] Chor (Ariane Andereggen) der Unzufriedenen, Ängstlichen, Selbstgerechten«. So wird »kudlich« zusammenfassend bezeichnet als »anspruchsvoll, politisch relevant, aberwitzig und intelligent gemacht – und [als] eine äußerst kurzweilige Anstiftung zur Revolution«.
Dem Produktionsteam aus Regisseur, Dramaturg und Kostümbildnerin gelänge eine »originelle[] Bildfantasie«. So rezensiert der Kulturkanal: »Die Inszenierung hat die Sprachflut mit starken Bildern klug strukturiert und dem etwas theorielastigen Diskurs enorme sinnliche und assoziationsreiche Qualitäten abgewonnen«. Autor Thomas Köck verbinde Gegenwart und Geschichte auf eine »wirklich abenteuerlich[e], kurios[e], absurd[e], auf- und anregend[e Weise], und profitiert zudem vom Witz anachronistischer Begriffskombinationen«. Fünf Darsteller spielen »mit großes Klarheit und Intensität und manchmal auch subversivem Witz Thomas Köcks vertackte Texte«. Zum Schluss zieht die Rezensentin folgendes Resümee: »Auf jeden Fall werden uns ein komplex verzahntes, unterschiedliches Material aus ernstzunehmender Ideologiekritik, Begriffsmissbrauch und wiederkehrender Agitationsmuster der Pop- und Politikkulturen in einem ganz eigenen Sprachsound angeboten«.
Autor Thomas Köck habe »auf der Folie der bürgerlichen Revolution von 1848 und unter Verwendung der historischen Figur des Wiener ›Bauernbefreiers‹ Hans Kudlich ein Stück konstruiert, das den Bogen zu heutigen Problemen spannen will«. Der Rezensent der Neuburger Rundschau schreibt anerkennend über die Kostüme von Kerstin Grießhaber: »[V]or allem die wulstigen Marionettenverkleidungen setzen surreale Akzente«.