Ein Volksfeind
von Henrik Ibsen
Schauspiel
Eine Stadt setzt alles auf eine Karte.
Man hat enorme Summen in die Zukunft investiert, denn die Kleinstadt will sich zum renommierten Kurbad mausern. Der Schuldenberg ist hoch. Aber bald werden die Touristen ins Heilwasserbad strömen und den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Doch üble Umweltsünden kommen ans Licht: das heilkräftige Wasser ist durch Industrieabfälle verseucht. Lokalpolitiker, Investoren und Zeitungsmacher wollen den Skandal vertuschen. Der Kurarzt T. Stockmann will das verhindern, wird zum »Whistleblower« und tritt mit den skandalösen Entdeckungen an die Öffentlichkeit.
EINER GEGEN ALLE. ALLE GEGEN EINEN. So könnte die Schlagzeile für Henrik Ibsens 1883 uraufgeführtes Drama lauten, das wie ein früher Öko-Thriller daherkommt.
»Darüber hinaus«, so Dramaturgin Gabriele Rebholz, »geht es in dem Stück um grundsätzliche Fragen der Demokratie, wie etwa: Ist es legitim, die Gesundheit der Bevölkerung der wirtschaftlichen Prosperität zu opfern? Es geht um Themen wie ›Wahrheit‹ und ›Recht‹ und um die Frage, wann ›Weltverbesserungstum‹ in ›Fanatismus< umschlägt? Der Arzt T. Stockmann will die Verantwortlichen aufrütteln, aber zusehends wird sein Idealismus von einem rabiaten Menschenhass überschattet. Stockmann hat sich fanatisch verrannt und merkt es noch nicht mal. Der ›Volksfreund‹ mutiert zum ›Volksfeind‹, sagt beängstigende Sätze, wie ›Die Mehrheit hat die Macht – leider –; aber das Recht hat sie nicht. Das Recht habe ich und noch ein paar andere. Die Minderheit hat immer recht.‹ Das könnten auch Pegida-Agitatoren von sich geben. Kurz: Stockmann entpuppt sich als Antidemokrat. Ibsens Stück birgt brisanten menschlichen aber auch politischen Sprengstoff. Ein Stück der Stunde«
mit: Matthias Zajgier (Thomas Stockmann), Sandra Schreiber (Katrine Stockmann), Enrico Spohn (Peter Stockmann), Péter Polgár (Hovstadt), Béla Milan Uhrlau (Aslaksen), Felix Steinhardt (MortonKill/Kapitän Forster), Eveline Hackenberg (Bürgerchor), Corinna Halanke (Bürgerchor), Dagmar Köhler (Bürgerchor), Dagmar Riedinger (Bürgerchor), Valerie Taffertshofer (Bürgerchor), Stefan Burger (Bürgerchor), Helmut Fertsch (Bürgerchor), Edgar Hackenberg (Bürgerchor), Gerhard Köhler (Bürgerchor), Karl-Heinz Lettmann (Bürgerchor), Maximilian Haberzettel (Bürgerchor)
- Regie:
- Christoph Mehler
- Ausstattung:
- Jennifer Hörr
- Musik:
- David Rimsky-Korsakow
- Dramaturgie:
- Donald Berkenhoff
- Regieassistenz:
- Mona Sabaschus
- Inspizienz:
- Eleonore Schilha
- Soufflage:
- Constance Chabot-Jahn
Premiere am
Großes Haus
Begeistert berichtet der Donaukurier über die Premiere »Ein Volksfeind« von Henrik Ibsen »Christoph Mehler inszeniert das wie einen Gottesdienst. Es ist eine starke Inszenierung. Klug, bildgewaltig, streitbar, tragisch, bitterböse, provokant.« Das Stück spielt in dem »eindrucksvolle[n] Bühnenbild von Jennifer Hörr« in dem der Boden »Wie schwarzer Lack glänzt (…): Symbol nicht nur für das verunreinigte Wasser [des Kurbads], sondern auch für den moralischen Morast, durch den man hier watet.« »Das exzellente Ensemble – von Matthias Zajgiers widersprüchlichem Thomas Stockmann über Enrico Spohn als dessen exaltierten Bruder und politischen Widerpart (eine Mischung aus Hohepriester und Tyrann mit herrlich komischen Gröfaz-Anleihen) bis zu Sandra Schreiber in einem spannenden Spagat zwischen überspannter Arzt-Gattin und dressiertem Fabrikanten-Töchterlein und Felix Steinhardt als ihrem degenerierten Vater. Aus dem Buchdrucker Aslaksen und dem Journalisten Hovstadt hat Mehler ein mephistophelisches Clowns-Duo (Bèla Milan Uhrlau und Péter Polgár) generiert.« – wird von einem »Chor der Kleinbürger« begleitet. »13 präzise choreografierte Männer und Frauen in Badebekleidung und Schläppchen, die in schönstem Gleichklang jedem nach dem Mund reden, mal im trotzigen Kleinkinder-Duktus, mal übereifrig, mal devot, mal als kritikloses Stimmvieh, aber als Masse brandgefährlich.« Der Regisseur Christoph Mehler zeigt damit »die Launenhaftigkeit der öffentlichen Meinung und die Manipulation der Masse (…) am Beispiel Thomas Stockmanns auch den schmalen Grat, auf dem der Einzelne balanciert zwischen Engagement und Fanatismus«. Besonders hebt der Donaukurier Matthias Zajgier >Brandrede< (…) über »die bürgerliche Gesellschaft« hervor - »Grandios«. Mehler »[begreift] den Text darüber hinaus als Partitur« neben »David Rimsky-Korsakows atmosphärische[n] Wasser-Sound« »ist alles Klang, Rhythmus, Melodie«. » Auch die Sprache folgt dieser Komposition, jeder Seufzer, der an- und abschwellende Kleinbürgerbocksgesang, der Lärm, die Stille. Ein Gesamtkunstwerk. Großer Applaus.«
Christian Muggenthaler berichtet begeistert von »Christoph Mehlers packende[n] Inszenierung von Henrik Ibsens >Ein Volksfeind<«. Dem Regisseur »gelingt es einen modernen Klassiker ganz in die Gegenwart zu übertragen und seine ganze Bedrohlichkeit durchscheinen zu lassen« »Die Inszenierung macht unmissverständlich klar, worum es geht: Es wird permanent Druck aufgebaut, akustisch, körperlich, gestisch. Alles ist exaltiert, schrill, laut. (…) Auf der Bühne – ein riesiger schwarzer Raum mit Spiegelboden, der sich von weitem über den Hauptprotagonisten wölbt (Ausstattung: Jennifer Hörr) – steht und zagt Herr Stockmann. Matthias Zajgier zeigt ihn als von Anfang an zittrigen, nervösen Typen, dem seine Rolle als Heros eigentlich viel zu groß ist. Alle anderen Figuren sind schräge, exaltierte Vögel, Monster fast. Sandra Schreiber als Stockmanns Ehefrau Katrine: ein nestwarmes Liebchen. Enrico Spohn als dessen Bruder Peter: ein robbespierrehafter Bürgermeister-Diktator. Péter Polgár und Béla Milan Uhrlau als Ortsbürger: schmierig, schleimig, ekelhaft. Felix Steinhardt als Schwiegervater Morton Kill: Frankensteins Geschöpf. Und dazu ein Bürgerchor, der das Druck-Szenario noch verstärkt, die pseudo-demokratische Volksmembran darstellt, die so verführbar ist wie eine Herde Lämmer. In Ingolstadt ist >Ein Volksfeind< zu sehen als Metapher zur Gegenwart. Es ist ein Bedrohungsszenario. Denn Warnungen können nicht laut genug sein.«
Der Kulturkanal berichtet von »eine[r] außergewöhnliche[n] Inszenierung von Henrik Ibsens >Ein Volksfeind<« für die es »Einhellige[n] Jubel« gab. Regisseur Christoph Mehler »hat Text und Kleinstadtpersonal radikal entschlackt und gleichzeitig die Hauptkonflikte energetisch geschärft. Und so wird die Geschichte vom Kurbad (…) zu einer hochaktuellen Parabel über die Unterdrückung von Wahrheiten, die den Wohlstand bedrohen könnten und über den gefährlichen Populismus in der öffentlichen Meinungsbildung.«
»Die Intensität der Aufführung kommt (…) aus der Virtuosität der Schauspieler«: »Großartig, wie lustvoll und ausgefeilt Enrico Spohn alle Register eines diszipliniert gestenreichen Spiels zieht. (…) Allein wie Christoph Mehler aus diesen 13 Laiendarstellern einen sprachlich, musikalisch und choreographisch prägnant und differenziert agierenden Chor gemacht hat, ist bemerkenswert. In seinem Schlepptau hat der Gemeindevorsteher mit Bela Milan Uhrlau und Peter Polgar zwei diabolische Gestalten in schwarzen Anzügen, die als Zeitungsredakteur oder andere Meinungsführer unterwürfig oder intrigant die öffentlichen Meinungsschwankungen abbilden oder manipulieren. Sandra Schreiber als die schwangere Frau des Arztes hat stimmlich und darstellerisch besonders exaltierte Formen für ihre kindliche Hysterie gefunden, mit der sie nach Wohlstand giert und um den Verlust des lange ersehnten Luxuslebens bangt. Im Zentrum steht natürlich die schwierige Rolle des Arztes Thomas Stockmann, des Wohltäters oder Volksfeinds, des Wahrheitsfanatikers, der sich zum faschistoiden Antidemokraten und dann wieder zum ebenso käuflichen Kollaborateur der Mächtigen wandelt. Völlig abgefahren ist Felix Steinhardt als Thomas Stockmanns Schwiegervater. (…) Ein Sonderlob an die Tonabteilung für diese an die Schmerzgrenze gehende Stimmverzerrung. Eine zentrale Rolle für die energetische Hochspannung dieser Aufführung kommt der Musik zu. David Rimsky-Korsakow (…) ist ein gefragter Musiker, Film- und Bühnenkomponist, weil er ein breites Spektrum elektronischer Sound- und Klangwelten kreieren kann, die der Aufführung eine große emotionale Kraft geben. Dem Stolz des Intendanten Knut Weber und dem Wunsch des Ensembles bei der Premierenfeier, den Regisseur Christoph Mehler wieder nach Ingolstadt zu holen, ist nichts hinzuzufügen. Ibsens „Ein Volksfeind“ im Stadttheater Ingolstadt ist wirklich eine außergewöhnliche Aufführung. Und die aktuellen Bezüge sind allgegenwärtig.«
Die Neuburger Rundschau berichtet lobend von dieser »künstlerisch hochwertige[n] Fassung des brisanten Stoffes«, der von »erstaunlich aktuellen Themen handelt«. Regisseur »Christoph Mehler legt alles auf eine albtraumhafte, exzentrische Groteske mit schwarzem Humor an. Er stilisiert die Hauptfiguren zu verbogenen, armseligen Geschöpfen. Matthias Zajgier, der Dr. Stockmann, ist ein nervöser, egomanischer Wahrheitsfanatiker. Stark aufgestellt ist sein letztlich demokratiefeindlicher Monolog über die Dummheit der >Majorität<. Seine schwangere Ehefrau (Sandra Schreiber) hat hysterische Anfälle, der Stadtvorsteher (Enrico Spohn) erinnert zappelnd und brüllend an Charlie Chaplins Adolf-Hitler-Karikatur. Der böse Schwiegervater wiederum (Felix Steinhardt) (…) wird als krankes Ungeheuer im Rollstuhl vorgeführt, das markerschütternde Schreie ausstößt. Schauspielerisch gelingt dies alles perfekt. (…) Spannungsvolle Akzente setzt die Musik von David Rimsky-Korsakow. Für die extravagante, zur Diskussion herausfordernde Inszenierung, die ohne platte Aktualisierung bedrückende Bezüge zur Gegenwart entfaltet, gab es bei der Premiere deutlichen Beifall.«