In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich (DSE)
von Rayhana
Deutsch von Elisabeth Schwagerle
Lachen und Rauchen verboten! Wenn Frauen über Männer reden, nehmen sie bekanntlich kein Blatt vor den Mund – in demokratischen Gesellschaften jedenfalls. In dem Stück der Autorin Rayhana ist das »Reden« über Männer jedoch lebensgefährlich.Neun arabische Frauen aller Generationen treffen sich deshalb in einem Hamam in Algier. Das Badehaus dient ihnen als Schutzraum. Dort lästern, lachen, tratschen sie, brechen ungeniert mit Tabus, streiten über Politik und Religion, reden über ihr Sexleben, ihre Ehen, über Männer. Und sie rauchen heimlich, weil eine Frau nicht rauchen darf. »(…) selbst für so etwas Unbedeutendes wie eine Zigarette wurden und werden Frauen beleidigt, sogar geschlagen«, so die Autorin in einem Interview.Vor dem Hintergrund der patriarchalischen,scheinheiligen und gewalttätigen Kultur ihrer Männer enthüllen sich in dieser Tragikomödie nach und nach die verschiedenen Schicksale neun arabischer Frauen.
Elfriede Jelinek schreibt über das Stück: »(…) Wie ein Fächer Karten blättert sich in diesem Stück die Vielfalt der arabischen Frau auf, die Fundamentalistin, die Abgebrühte, die Heiratswütige, die Emigrantin, die Zynische, die Bildungshungrige etc. Auch wenn man die Verhältnisse nicht kennt, weiß man sofort: Es ist wahr, was hier verhandelt wird. Und (was sehr selten passiert!) man lernt etwas. Und wäre es nur, dass das, was diese Männer ihren Frauen nehmen, den Männern selbst genommen wird. Sie machen sich selbst arm. Bloß wissen sie es nicht. Ein wunderbares Stück, das einem diese Dinge erfahrbar macht.« (Elfriede Jelinek an Ute Nyssen am 31.10.2013)
mit: Manuela Brugger (FATIMA, Masseuse (50 Jahre)), Sandra Schreiber (ZAYA, junge Fundamentalistin (30 Jahre)), Victoria Voss (Madame Mouni, eine nach Frankreich Ausgewanderte (50 Jahre)), Mira Fajfer (Samia, Masseuse (29 Jahre)), Yael Ehrenkönig (Nadia, Studentin (26 Jahre)), Chris Nonnast (Louise (60 Jahre)), Kathrin Becker (Aicha, Schwiegermutter (65 Jahre)), Teresa Trauth (Kaltoum, Lehrerin (35 Jahre)), Mara Thurnheer (Myriam, junges schwangeres Mädchen)
- Regie:
- Brit Bartkowiak
- Bühne:
- Nikolaus Frinke
- Kostüm:
- Carolin Schogs
- Musikalische Leitung:
- Joe Masi
- Dramaturgie:
- Gabriele Rebholz
- Regieassistenz:
- Mona Sabaschus
- Inspizienz:
- Annette Reisser
- Souffleuse:
- Ulrike Deschler
Premiere am
Kleines Haus
»Neun Gestalten in Burkas drehen sich sehr langsam zum Publikum um. (...) Mit diesem Bild beginnt Brit Bartkowiaks Inszenierung (...) Davon ausgehend fächert sie wirkungsvoll die Individualität auf, die die algerische Autorin Rayhana den neun Frauen in ihrem 2010 in Paris uraufgeführten Stück mitgegeben hat. (...)
Im Badehaus, das im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt aus fünf Holzbänken unter aufgehängten Hamam-Tüchern besteht, gießen die Frauen einander Wasser über die Köpfe und die nackten Beine. Auch die naive Liebessehnsucht der jungen Samia wird entblößt, der Lebenshunger der frisch geschiedenen Nadia, die glückliche Geilheit Kaltoums und die Daueraffäre der braven Louise mit ihrem Schwager. In Ingolstadt treten sie alle nacheinander durch eine Tür – von Licht und Musik umrahmt wie Prinzessinnen – und entledigen sich mit einer für die jeweilige Figur charakteristischen Bewegung ihrer schwarzen Kluft. Die Tücher darunter sind so bunt wie die Geschichten der Frauen, die sie hier ohne Verfremdungs- oder Ironieschnörkel erzählen. (...) wenn Chris Nonnast als Louise die zuckersüß dekorierte Ehefalle beschreibt, in die sie als zehnjährige gelockt wurde, stockt einem der Atem. Und Aandra Schreiber ist als junge Gotteskriegerin Zaya so sanft und kühl zugleich, dass beide Schleifen der doppelten Wendung, die sie am Ende durchmacht, plausibel erscheinen. (...)
Diese Komödie mit tragischem Grund ist klassisches Schauspielfutter. Dass sich trotz überschwänglichem Lobs unter anderem von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek erst jetzt ihre deutschsprachige Erstaufführung erlebt, verwundert, ist aber nach diesem Abend auch nicht ganz unverständlich. Denn obwohl die Autorin in Interviews stets betont, dass es ihr um Männerherrschaft überall auf der Welt gehe (und uch die vielen blonden Mähnen in Ingolstadt den Interpretationsspielraum weit halten.), ist es doch die Angst vor dem muslimischen Mann, die bleibt. Die Bedrohung durch ihn hat zwar kein Gesicht, am Ende aber liegt eine Tote auf der Bühne und die Ahnung liegt in der Luft, dass sie nicht die letzte ist.«
Es sei ein »politisch brisantes Stück über Frauen im Islam«, so Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung. »2014 erhielt das nicht zuletzt von Elfriede Jelinek hochgelobte Stück (…) den renommierten Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis. Doch an eine deutschsprachige Erstaufführung wagte sich niemand. (…) Überflüssig zu sagen, dass es Not täte, die hiesigen Debatten um die Rolle der Frau im Islam nicht der islamfeindlichen AfD zu überlassen, sondern kompetenten Stimmen.« Zudem betont die Süddeutsche Zeitung, gäbe es »nicht viele reine Frauenstücke in der Theatergeschichte. Allein deshalb sollten sich darauf alle Häuser stürzen«.
Rayhana habe eine »vorzüglich gebaute Tragikomödie geschrieben. »Immer wieder dränge ein »boulevardesker Dialog-Ping-Pong, Klatsch und Tratsch all die schweren Themen von Zwangsverheiratung über Gewalt in der Ehe bis zum Ehrenmord für einen Moment in den Hintergrund und sorge(…) für durchaus gewollte Lacher. Schließlich, so könnte man Rayhanas Absicht interpretieren, fürchten alle kleinen und großen Despoten dieser Welt nichts mehr als Spott, Ironie und Gelächter!« Darüber hinaus wird »Brit Bartkowiaks minimalistische, von den Darstellerinnen mit viel Körpereinsatz umgesetzte Inszenierung« gelobt.
Zudem verweist die Süddeutsche Zeitung auf das am 5. Juni stattfindende Podiumsgespräch u. a. mit der Autorin und der Verlegerin Ute Nyssen. »Bis dahin sollte man sich unbedingt im Kleinen Haus Brit Bartkowiaks Inszenierung von ›In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich anschauen‹.«
»Alles Private ist politisch«, schreibt der Donaukurier über das Stück der algerischen Autorin Rayhana. Journalistin Anja Witzke betont: »Die Autorin selbst schreibt unter Pseudonym. In ihrem Heimatland wurde sie von Islamisten mit dem Tode bedroht, in Paris entging sie nur knapp einem Brandanschlag auf offener Straße. Allein das ein Indiz dafür, welch subversive Sprengkraft dem Stück innewohnt, wie virulent die Themen sind, die es verhandelt. Denn aus der Perspektive der neun Frauen werden Gesellschaftssystem, männliche Gewalt und die Macht der Religion kritisiert. Trotz der existenziellen Themen hat Rayhana dabei so etwas wie eine Komödie geschrieben. Doch Leichtigkeit und wahnwitzige Dialoge werden mit archaischer Wucht durchbrochen, die Wirklichkeit des Terrors ist stets präsent.«
Besonders gelobt wird die »fabelhafte Schauspielertruppe«: »Allein wie Manuela Brugger als Masseuse Fatima (…), in ihrem Hamam wirkt, ist umwerfend (…), aber alle Schauspielerinnen agieren in ihren Rollen so facettenreich, so kämpferisch, so sinnlich, mit solcher Tiefe und Lebendigkeit, dass in der Summe ein vielfältiges, vielstimmiges, farbenprächtiges Bild der heutigen algerischen Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne, Hoffnung und Ohnmacht, Liebe und Schmerz entsteht.«
Und weiter heißt es: »Regisseurin Brit Bartkowiak schafft eine perfekte Atmosphäre, (…) setzt die waghalsige Komik mit größter Präzision und Virtuosität um und verleiht jeder Figur ein individuelles Profil – (...)«
Fazit: Die deutschsprachige Erstaufführung in Ingolstadt ist »nicht nur ein kluger, berührender Beitrag zur aktuellen politisch-gesellschaftlichen Situation, sondern auch reinstes theatrales Vergnügen. (...) Unbedingt anschauen!«
So lautet das Resümee auf »nachtkritik«. Christian Muggenthaler erkennt in dem Stück von Rayhana eine »farbig-vielfältige Gegenposition zum Schwarz-Weiß-Denken“. Es sei »ein starker Text über das Thema Menschlichkeit.«
Über Regie und Darstellerinnen heißt es: »Regisseurin Brit Bartkowiak vertraut ganz einfach der im Kern komödiantischen Grundstruktur, besagten vertrauten Typisierungen, und gewinnt dadurch sofort Vertrauen und Vertraulichkeit. (...) Und sie kann bei all dem auf famose Ingolstädter Darstellerinnen zugreifen, die überzeugend all die klar konturierten Frauenfiguren besetzen und in Besitz nehmen, beispielsweise Manuela Brugger als Handlungschefin Fatima, kantig, bissig, selbstbewusst, Mira Fajfer als ihre so zarte, liebesbedürftige Gehilfin Samia, Yael Ehrenkönig als ebenso verletzte wie starke Studentin Nadia, Chris Nonnast in einem schmerzhaften Monolog über die Vergewaltigung einer Minderjährigen im durch gruslige Tradition sanktionierten Humbug-Gewand der Ehe.«
»Erstaunlich ist, dass dieses aktuelle, interessant gebaute Stück erst jetzt zur deutschsprachigen Erstaufführung kommt. Umso verdienstvoller ist die kluge Spielplanentscheidung des Ingolstädter Stadttheaters«, so Friedrich Kraft in der Augsburger Allgemeinen.
»Die Inszenierung im Kleinen Haus ist vorzüglich. Der Regisseurin Brit Bartkowiak gelingt es wunderbar, die Balance zwischen Tragik und Komik zu halten (…) Gelingen kann alles aber nur mit diesen vorzüglichen Schauspielerinnen, die ihre Rollen höchst prägnant zeichnen (…) Das Premierenpublikum quittierte die Produktion, die zu den wichtigsten dieser Spielzeit zählt, mit schier endlosem Applaus.«
» ›In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich‹ im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt ist der Volltreffer eines aktuellen Theaterstücks über die Vielfalt des Frauseins im Islam und eine Aufführung, die die Vitalität unter der Burka zum Vorschein bringt, mit drastischem Witz punktet und dennoch unter die Haut geht«, so Isabella Kreim im Kulturkanal Ingolstadt.
»Und es ist auch ein Stück gegen unsere westeuropäische Überheblichkeit, ALLE muslimischen Frauen als Unterdrückungsopfer über einen Kamm zu scheren. Denn ja, was diesen Frauen an männlicher Gewalt passiert ist, klingt nach tiefstem Mittelalter, aber auch: wie aufklärt, emanzipiert oder auch frustriert erkämpfen sich diese muslimischen Frauen ihre Nischen der Selbstbestimmung!«
Und weiter heißt es: »Alles, was uns so verstören mag an arabischen Traditionen, Zwangsheirat und Ehrenmord, islamistischer Terror, Frauenfeindlichkeit, Unterdrückung aber auch der Mut, sich Freizügigkeit zu erkämpfen, wird in diesen persönlichen Frauengeschichten als authentische Alltagswirklichkeit erkennbar – und ist politischer Sprengstoff.«