Hasse Karlsson
Der gewissenlose Mörder Hasse Karlsson enthüllt die entsetzliche Wahrheit, wie die Frau über der Eisenbahnbrücke zu Tode gekommen ist.
von Henning Mankell • Deutsch von Hansjörg Betschart • ab 12 Jahren
Der schwedische Autor Mankell, vor allem für seine gesellschaftskritischen Romane und als Schöpfer der Figur des Kurt Wallander bekannt, ist ebenfalls Autor zahlreicher Kinder- und Jugendbücher. »Hasse Karlsson« entsteht aus seiner Feder als Theaterstück über den schwierigen Weg des Erwachsenwerdens auf dem schmalen Grat zwischen gesellschaftlichen Grenzen und dem Wunsch nach der Freiheit, eigene Entscheidungen treffen zu können. »Warum tut man, was man nicht will?« fragt sich Hasse, Sohn eines Arbeiters, als er eines Winters den ebenfalls 13-jährigen Schwalbe kennenlernt. Schwalbe kommt aus reichem Elternhaus, ist neu in der Gegend, zutiefst gelangweilt und ein Zyniker. Rache gehört in seine Welt des Erwachsenwerdens. Er will ein Mensch sein, den niemand vergisst. Ohne zu wissen warum, ist Hasse fasziniert vom sadistischen Schwalbe. Er kann sich nicht aus seinem Bann befreien. Anfangs klingt Schwalbes Parole »Wer hier durchkommt, wird unser Opfer sein« noch wie ein Spiel; sie wird aber bald todernst: als Schwalbe im Frühjahr die Stadt verlässt, haben die beiden eine Frau in den Tod getrieben.
Mankell beschreibt bildreich die erdrückende Welt, in der Hasse aufwächst. Es sind die Umstände, die die Menschen gewalttätig werden lassen, so scheint es: Neid und soziale Kälte, ein depressiver, stets abwesender Vater, die überforderte Mutter, all das lässt in Hasse den Wunsch nach einem anderen Leben aufkeimen.
Regisseur Donald Berkenhoff holt die Geschichte der zwei Jugendlichen in die Jetztzeit: aus der ländlichen Einöde Schwedens im Jahr 1948 versetzt er sie in die Tristesse einer Trabantenstadt irgendwo zwischen Paris, Marzahn-Hellersdorf oder München-Hasenbergl. Fabian Lüdickes Bühnenbild verortet sie an einem als Zwischendeck eines Parkhauses anmutenden Nicht-Ort. Hier hängen die beiden Jungen herum, hier treffen sie auf ihr späteres Opfer, hier spricht Hasse aber auch mit seiner Mutter, hier erinnert er sich an die ganze alte Geschichte …
mit: Benjamin Kneser (Hasse Karlsson), Benjamin Dami (Schwalbe), Michael Amelung (Jamie, der Mann ohne Nase), Manuela Brugger (Hasses Mutter/Die Metzgerswitwe/Aurelia )
- Regie:
- Donald Berkenhoff
- Ausstattung:
- Fabian Lüdicke
- Dramaturgie:
- Teresa Gburek
- Regieassistenz/Inspizienz/Soufflage:
- Linda Göllner
Premiere am
Werkstatt/Junges Theater
»Erzählt wir in Rückblenden die Geschichte zweier Jungen, die ganz alltäglich beginnt: Der sanfte Hasse aus armem Elternhaus trifft auf Schwalbe, der aus einer wohlhabenen Familie stammt. Die beiden hecken Streiche aus, schikanieren einen Stadtstreicher, verabreden Mutproben. Treibende Kraft ist immer der bürgerliche Zögling. Es kommt zum Schlimmsten: Eine verwirrte Frömmlerin, die auftaucht, um Gott zum Kaffee einzuladen, wird durch einen sadistischen Scherz in den Tod getrieben. Schwalbe verschwindet in ein feines Internat und Hasse Karlsson treibt fortan die Frage um: ›Warum tut man Dinge, die man nicht tun will?‹
Für die Sparte Junges Theater hat Donald Berkenhoff in der Werkstattbühne das Stück ›Hasse Karlsson‹ des schwedischen Autors Henning Mankell (...) sensibel und klug eingerichtet. Der Regisseur verlegt die ursprüngliche Handlung aus einem schwedischen Dorf des Jahres 1948 in die beliebige Gegenwart des Parkdecks vor dem Prospekt eines grässlichen Wohnsilos (Ausstattung Fabian Lüdicke). Die drei Frauenrollen werden im raschen Wechsel von einer Schauspielerin gestaltet (beeindruckend: Manuela Brugger). Und die vierte Figur ist nun, anders als in der Vorlage, keine Frau, sondern ein Mann ›ohne Nase‹, ein feiner Penner, der in der Ecke hockt, wunderbar auf der Gitarre klimpert und Folksongs singt (Michael Amelung). Vorzüglich agieren in den beiden Hauptrollen Benjamin Kneser und Benjamin Dami.«
»Das Thema Jugendgewalt im Jungen Theater Ingolstadt: Donald Berkenhoff hat Henning Mankells „Hasse Karlsson“ inszeniert. Letzten Samstag war Premiere.
›Warum?‹ fragt der Penner, dem die zwei Jugendlichen Hundescheiße in den Schlafsack gelegt haben, nachdem sie seinen Schlafsack auch noch abfackeln wollten. Er fragt es ganz friedlich, will einfach nur verstehen, warum die beiden 13jährigen so etwas machen. Warum sich Jugendliche scheinbar grundlos, just for fun, Opfer suchen, die sie drangsalieren können, hat sich auch der schwedische Wallander-Autor Henning Mankell mit seinem Jugendbuch „Hasse Karlsson“ gefragt. Denn am Ende haben Hasse und sein Kumpan Schwalbe eine Frau in den Tod getrieben. Sie erfriert in einer Situation, aus der sie sich nicht mehr selbst befreien kann. (...)Passanten Schrecken einzujagen, vertreibt die Langeweile. Durch das gemeinsame Abhängen mit Schwalbe kann Hasse seinem tristen und engen Elternhaus entfliehen. Und so kommt die Eigendynamik aus Frustspielchen, Jungensstreichen, Wetten und Bewährungsproben in Gang, mit denen Schwalbe Hasse in immer krassere Aktionen treibt. Schwalbe, der Sohn aus gut situiertem Akademikerhaus, ist dabei die treibende Kraft.
Während sich Hasse fragt, ›warum man tut, was man nicht tun will‹, verkauft Schwalbe seine Anstiftung zu Untaten als Schulung zum Erwachsenwerden. Er will ein Mensch werden, den man nicht vergisst und einer, der das skrupellose Kämpfen in der Erwachsenenwelt frühzeitig trainiert hat. Und Hasse gelingt es nicht, aus dieser Spirale der Gewalttaten auszusteigen. Er will nicht als Feigling gelten, seinen Freund nicht verlieren, und er hat Schwalbes Manipulation nichts entgegenzusetzen, obwohl er die Taktik durchschaut. Zumindest als Erwachsener. Denn die Geschichte wird aus der Rückerinnerung Hasses erzählt, der offenbar den sozialen Aufstieg geschafft hat. Wir erleben ihn als Rückkehrer im Businesslook, der sich an diese Phase seiner Kindheit erinnert.
Henning Mankells Geschichte spielt 1947, irgendwo in einem winterlich verschneiten schwedischen Kaff. Regisseur Donald Berkenhoff verortet die Ereignisse in der Gegenwart großstädtischer Un-Orte, an denen Jugendliche heute abhängen. Dafür hat Bühnenbildner Fabian Lüdicke in Kopie der Betonsäulen der Werkstattbühne ein Parkgaragendeck mit Ausblick auf Wohnsilos gebaut. Auch hier ist es kalt, physisch und sozial. (...) gelingt die Tranzsferierung in die Bildwelt der Gegenwart überzeugend, denn die Mechanismen des Psychodrucks funktionieren zeitlos nachvollziehbar.
Henning Mankell warnt in seinem Vorwort vor allzu großem Realismus, weil die Geschichte ja in Hasses Erinnerung spiele. Diese Reflektionsebene aus der Distanz des Erwachsenen schlägt sich im Inszenierungsstil nicht sichtbar nieder. Stattdessen werfen sich Benjamin Dami und Benjamin Kneser mit Elan ins Spiel, skaten, raufen und schreien, versuchen also so gut wie möglich in Habitus und Coolness, authentische Jugendliche von heute zu spielen. (...)
Michael Amelung steuert als Obdachloser an der Gitarre und mit Songs den Live-Soundtrack bei und spielt diesen ›Mann ohne Nase‹ als sanften Clown. Manuela Brugger setzt als Mutter, vor allem aber in ihren Doppelrollen als humpelnde Oma und Frau, die Gott zum Kaffeetrinken einladen möchte, skurrile Akzente. (...)
Diskussionsstoff über Mankells Ursachenforschung liefert ›Hasse Karlsson‹ jedenfalls genug.«
Als »Psychokrimi über das Erwachsenwerden« beschreibt der Donaukurier die facettenreiche Inszenierung von Berkenhoff, denn »er [zeichnet] die beiden Jungen nicht schwarz-weiß[…], den einen nur gut, den anderen nur böse, sondern [führt]beide in ihren Sehnsüchten und Ängsten [vor]und zeigt, wie jeder um die Aufmerksamkeit des anderen buhlt.« »Es sind existenzielle Fragen, die hier verhandelt werden. Und so, wie sie hier verhandelt werden, gehen sie unter die Haut.« Zum Weiterdenken wird dringend aufgefordert.