Mr. Pilks Irrenhaus
sowie nachgelassene Texte von Henry Pilk
von Ken Campbell • Deutsch von Brigitte Landes • Wiederaufnahme im Frühjahr 2016
Offene Fragen – Ab wann ist ein Tisch kein Tisch mehr, wenn man seine Beine kürzt? Was machen Sie, wenn Ihnen im Restaurant die Suppe samt Socke des Kellners serviert wird? Ist eine Unterhose mit zugenähten Beinen überhaupt noch eine Unterhose? Und was, wenn ein wildfremder Cowboy plötzlich Ihr Haus und Ihre Frau beschlagnahmt? Diese und ähnliche Fragen wirft Ken Campbell in »Mr. Pilks Irrenhaus« auf und entwirft darin ein Reich voller Absurditäten. Der britische Nonsens-Autor treibt die alltäglichen Dinge auf die Spitze. Bis dorthin, wo die Grenzen zwischen Normalität und Wahnsinn verschwimmen. Das ist die Welt des Mr. Pilk. Und wer ist Mr. Pilk? Manche nennen ihn ein Genie. Andere bezeichnen ihn als Philosophen, Dichter, Säufer oder als Verrückten. Er schreibt Dramen von shakespearscher Größe auf die Rückseite einer Zigarettenschachtel. Er beantwortet die elementaren Fragen unserer Zeit auf einem alten Bierdeckel. Er erzählt Geschichten, die niemals so geschehen sein dürften, es aber wahrscheinlich sind. Er ist ständiger Gast in Irrenhäusern und stellt immer wieder dieselbe Frage: »Was ist Wirklichkeit in diesem Spiegelkabinett?«
»Mr. Pilks Irrenhaus« ist eine Serie von Minidramen, in denen die Leute ihr Leben zu leben versuchen, wie es geplant war. Aber auf einmal rutscht ihnen das Leben unter den Füßen weg. Man kann sich auf geballten Irrsinn in vielfältigster Form freuen, von anarchischen Grobheiten bis zu hochintelligenten, absurden Gedankenkonstrukten. »Wahnsinnig oder genial?« – das muss jeder selbst entscheiden. Liefern Sie sich völlig dem Absurden aus und blicken Sie mit Mr. Pilks Erinnerung in die Abgründe des schwarzen, britischen Humors. Amüsante Verwirrung garantiert!
»Man liest es, auf der Suche nach Erhellendem. Eine Erklärung! Für das zu Sehende, oder das Gesehene. Eine intellektuelle Conclusio, die mich als Zuschauer beruhigt nach Hause gehen lässt. Versehen mit einem Sinn! Mit Antworten auf die Fragen! Aber diese Antworten kommen nicht und im Hintergrund höre ich ein Lachen und ich frage mich: Wer lacht da? Der Regisseur, der Autor? Ich stelle fest: Es ist mein eigenes Lachen, meine eigene Freude! Und da, gleich hinter der Freude, hinter dem Lachen, noch ganz verschwommen und doch sichtbar … ist das nicht … ein Sinn???« Jens Poth
mit: Teresa Trauth, Ulrich Kielhorn, Sascha Römisch
- Regie:
- Jens Poth
- Ausstattung:
- Nora Johanna Gromer
- Regieassistenz:
- Mona Sabaschus
- Soufflage:
- Susanne Wimmer
- Inspizienz:
- Rowena Haunsperger
Premiere am
Studio im Herzogskasten
»Nach der Thriller-Komödie ›9 Stufen‹ im Kleinen Haus nach Hitchcocks Film-Klassiker dreht das Stadttheater Ingolstadt als Kontrast zur sentimentalen Vorweihnachtszeit mit ›Mr. Pilks Irrenhaus‹ im Studio im Herzogskasten die Komödienschraube noch eine Stufe weiter in Richtung absurden Aberwitz. Doch dieser Irrsinn hat Methode. Nämlich ein von Regisseur Jens Poth genau ausgetüfteltes Wechselspiel unterschiedlicher Figuren und Humor-Niveaus. Und wirklich Irres leistet das großartige Schauspieler-Trio Sascha Römisch, Ulrich Kielhorn und Teresa Trauth. Ein ziemlich verrücktes Theatervergnügen! 1973 hat der britische Schauspieler und Nonsens-Autor Ken Campbell ein gutes Dutzend ziemlich absurder Szenen geschrieben, die sich irgendwo zwischen Monthy Pythons drastischer Situationskomik und Loriotschen Sprachlogik-Spitzfindigkeiten, zwischen Comedy und absurdem Irrsinn bewegen. Halluzinationsfördernd hat Ausstatterin Nora Johanna Gromer die Wand mit Vasarelys verzerrter Rautenmuster-Op-art in schäbigem 70er Jahre- braun-beige tapeziert. An der Wand hängt ein Bilderrahmen, in dem die Bärte kleben, die sich die Darsteller bei Bedarf umhängen. Hinter der Tür ist ca. 1 m in der Tiefe Platz für die Darsteller, um in irrem Tempo die unzähligen Kleidungsstücke und Requisiten zu suchen, die sie anziehen oder sich mitbringen. Wo kommt bloß so schnell der Tisch her, auf den der Obdachlose und der Selbstmörder steigen? Der Obdachlose will den Selbstmörder beileibe nicht aufhalten, vom Dach zu springen. Er will ihn nur abhalten, dies zu tun ohne ihm vorher sein Jackett, sein Geld und seine Hose dazulassen... Ein Cowboy kommt zu einem spießigen Ehepaar und behauptet, das Haus und das Blondie gehören ihm. Er brennt mit der Ehefrau durch. Drei Jahre später begegnet sich das Ehepaar als Showstars wieder. Crazy! Ein Junge wird von seiner Mutter solange genervt, bis er sich als Huhn ausgibt und ein Ei legt. Es könnten Alptraum-Situationen sein: Man kommt zur Ehefrau nach Hause und stellt im dunklen Treppenhaus fest, man ist schon da, in Form eines identischen Doppelgängers. Oder lebt man gar nicht zuhause, sondern in einer Kopie des Zuhauses – mit einem geklonten Partner? Und wie kann man das feststellen? An den stinkenden Socken. Fälle für die Psychiatrie oder philosophische Fragen über die Wirklichkeit, das Wesen der Dinge und die eigene Identität werden in die Absurdität und damit in die Komik getrieben. Der Mann, der nichts mehr unterscheiden konnte, fragt sich, ob der Tisch noch ein Tisch ist, wenn man die Beine absägt. Und ab wie vielen Zentimetern Beinlänge der Tisch noch ein Tisch ist. Manches erinnert an die Psychiatrie-Fälle des amerikanischen Neurologen Oliver Sacks, die Peter Brook in dem wunderbaren Theaterabend ›L'homme qui‹ auf die Bühne gebracht hat. Wir erleben große Tragödie am Hochzeitsmorgen mit Schwanensee-Dämonie oder den vergeblichen Versuch dreier Irrenärzte, eine Männermordende Nymphomanin zu heilen. Zwei Möchtegern-Agenten beschließen, als Geheimcode immer das Gegenteil dessen zu sagen, was sie meinen, um die Gegner, die sie vielleicht abhören könnten, zu irritieren. Aber bereits diese Verabredung ist ein logisch-sprachliches Verwirrspiel. Neben solchen wunderbar geistreichen, sophistischen Dialogen gibt es aber auch deftigen Fäkal-Humor, der nicht jedermanns Geschmack sein muss. Es sind Szenen, von denen ihr Autor Ken Campbell behauptet, so etwas könne nur ein Irrer in einem Irrenhaus erfunden haben. Und so hat der reale, 2008 verstorbene britische Autor Campbell den fiktiven irischen Autor Henry Pilk erfunden, der diese Minidramen zwischen Genie und Wahnsinn geschrieben habe. So hat es Campbell in einem Vorwort und als nachgelassene Briefe des Mr. Pilk fingiert, in denen das Irrenhaus sowieso als idealer Theaterort, auch für Shakespeare, gefordert wird. Der reale Regisseur dieser Inszenierung im Studio des Stadttheaters Ingolstadt, Jens Poth, hat die Sache noch ein wenig komplizierter gemacht, indem er Ken Campbell und sein Alter Ego Henry Pilk in Gestalt von Ulrich Kielhorn und Sascha Römisch und mit Teresa Trauth als Nummerngirl zwischen den Szenen auftreten und über die Wirklichkeit und Fiktion und die Urheberschaft der Binnenszenen streiten lässt. Und das macht es noch verwirrender, zwischen gefühlten 500 Rollen in den Sketchen auch noch zu dieser Metaebene zwischen Autor und fingiertem Autor zu wechseln. Der absurde Irrsinn oder auch Unsinn dieser Szenen könnte leicht in eine anarchische Hau-drauf-Blödelei abrutschen, wäre da nicht dieses großartig sich diszipliniert verausgabende Schauspieler-Trio Sascha Römisch, Ulrich Kielhorn und Teresa Trauth, die sich auch mit ihren unterschiedlichen Temperamenten wunderbar ergänzen. Da wird nicht auf Teufel komm raus auf Lacher und Pointe gespielt, sondern das ver-rückte konsequent durchgezogen. Teresa Trauth ist selbst im schweigenden Zugucken skurril-komisch und brilliert in ihren Rollen als sächselnde Mutter, säuselnde Ehefrau, sterbender Schwan oder Männermordender Vamp. Mit aberwitziger Exaktheit und Perfektion und wunderbarem Pokerface exerzieren Sascha Römisch und Ulrich Kielhorn ihre Nonsens-Dialoge. Ulrich Kielhorns trocken-sanftmütiges Understatement etwa als verlassener Ehemann oder Pseudo-Agent kontrastiert wunderbar komisch zu Sascha Römischs Exaltiertheit etwa als Klischee-Cowboy und zur nur im Singen und Hüpfen zu beruhigender Verzweiflung des Mannes, der das Wesen der Dinge mit psychotischer Inbrunst ergründen muss. Und neben den vertrackten Texten und grandios skizzierten Figuren kommt noch der Backstage-Aberwitz, sich im Tohuwabohu der Verkleidungen und Requisiten nicht im Ablauf zu irren. Die Leistung dieser drei Darsteller kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Einfach irre! Es ist kein Kreisch-Gelächter-Humor. Manchmal auch, ja. Wenn der Polizist mit der Hand in die Scheiße platscht, weil man ihm erzählt hat, unter dem Hut auf dem Boden des Piccadilly-Circus sei ein wertvoller Schmetterling. Andererseits muss man das Lachen auch unterdrücken, um manchen Nonsens-Dialog genießen zu können. Ver-rückt eben. Jedenfalls Witz und Humor auf vielen Ebenen. Und ein irre gutes Schauspieler-Trio!«
»An vorzüglich gemachten Angeboten für Vergnügungssüchtige besteht im Spielplan des Stadttheaters derzeit kein Mangel. Nach der atemberaubenden Verwandlungsorgie in der Kriminalkomödie ›Die 39 Stufen‹ am Kleinen Haus nun sogleich wieder ein Unterhaltungshit im Studio des Herzogskastens: ›Mr. Pilks Irrenhaus‹ von Ken Campbell, eine Folge von Miniszenen über den alltäglichen Wahnsinn. Das möchte man meinen, der britische Autor (1941-2008) sei bei Karl Valentin, dem bayerischen Großmeister der absurden Komik, in die Lehre gegangen. So wenn Campbell in seinem 1973 in Toronto uraufgeführten Erfolgsstück über das Wesen eines Tisches mit gekürzten Beinen oder einer Unterhose mit zugenähten Beinen philosophieren lässt. Wenn ein wildfremder Cowboy sich des Hauses eines biederen Rancher-Ehepaares bemächtig. Dann Sprachwirrung zwischen zwei Spionen, die zwar ihren Auftraggeber und ihren Auftrag nicht kennen, aber schon mal die Geheimsprache einüben wollen, sich dabei aber mit Code- und Normalwörtern verknäulen. Dazwischen Fabulieren von Übersinnlichem und immer wieder das Spiel mit Theater im Theater, Zank zwischen dem versoffenen Autor Pilks, der geniale Kurztexte auf Zettel und Bierdeckel schreibt und sich von seinem Verwerter Campbell missbraucht fühlt. Kaum zu beschreiben all der Wahnwitz, man muss es selber gesehen haben. Gastregisseur Jens Poth hat die Nonsens-Parade, die schwarze, auch tiefsinnige Untertöne nicht missen lässt, mit großem Geschick in der stimmigen Ausstattung von Nora Johanna Gromer eingerichtet. Furios das Schauspieler-Trio_ Teresa Trauth, Ulrich Kielhorn und Sascha Römisch – dieser vor allem besticht wieder einmal als Komödiant, ohne jedwede Scheu vor den Werkzeugen der Klamotte. Das Premierenpublikum kringelte sich, kam es aus dem Lachen nicht heraus und spendete heftigen Applaus.«
Der Donaukurier lobt die Schauspieler für ihre Umsetzung der gedanklichen Experimente Ken Campbells, die den schmalen Grat zwischen Lächerlichkeit und der ernstzunehmenden Suche nach Wirklichkeit und Identität verdeutlichen.
»Regisseur Jens Poth jongliert mit den verschiedenen Sprachebenen, lässt die Akteure mal komisch chargieren und dann wieder völlig natürlich sprechen.« schreibt Jesko Schulze-Reimpell. Insgesamt wird das Resümee gezogen: »Das ist wirklich irre. Irre komisch.«