Hamlet - Prinz von Dänemark
von William Shakespeare
Deutsch von Frank Günther
An der offenen Küste Dänemarks. – Ein junger Mann in Not: Er hat seine Universität verlassen und ist nach Hause zurückgekehrt, um der Beerdigung seines Vaters beizuwohnen. Schon bald nach dieser Beerdigung vermählt sich seine Mutter neu, mit seinem Onkel. Und nun begegnet der junge Mann dem Geist seines Vaters, der ihm offenbart, dass er ermordet wurde und eben der neue König, der Onkel, der Mörder ist. Der Prinz, sein Name ist Hamlet, soll diesen Mord rächen. Er zögert, er denkt. Um Zeit zu gewinnen, täuscht er ein sonderliches Verhalten vor. Aber der Verdacht ist erregt, man lässt ihn von seinen besten Freunden bespitzeln. Hamlet braucht Beweise, um tätig zu werden. Ihm kommt eine Theatergruppe zu Hilfe, die am Hof gastieren will. Er übt mit ihnen ein schnell geschriebenes Stück ein, das auffällige Parallelen zu dem Mord aufweist. Während der Vorstellung lässt er seinen Onkel und seine Mutter nicht aus den Augen. Und tatsächlich, es kommt zum Eklat. Der Denker wird zum Täter. Am Ende ist die Bühne mit Leichen übersät. Was bleibt? »Der Rest ist Schweigen.«
Hamlet ist eines der erfolgreichsten und meistgespieltesten Stücke Shakespeares. Vieldeutig und verwinkelt, fordert es immer wieder zu neuen Interpretationen heraus. Der zögerliche Dänenprinz, der über »Sein oder Nichtsein« nachdenkt, ist eine der bekanntesten Figuren der Dramenliteratur. Ist er wahnsinnig, ist er raffiniert? Auf jeden Fall ist er über lange Zeit gefangen in seinem Denken. Aber die Realpolitik macht ihn zum Täter, zu dem, was er nie sein wollte.
Erste Assoziationen des Regisseurs Marco Štorman zu »Hamlet«: »Alles wissen und nichts tun können. Alle Freiheiten haben und sich gefangen fühlen. Macht, die in Ohnmacht kippt, Hilflosigkeit. Im Erkennen einsam werden. Entrückt. Weil man sich nicht mehr mit der Welt dreht, sondern diese sich um sich selbst. Immer schneller. Kontrollverlust. Hamlet als Explosion, ein um Hilfe Schreiender, der sich der Lethargie unserer Möglichkeitswelt entziehen will. Aufwachen aus dem Dämmerschlaf unserer scheinbaren Freiheit.«
»Hamlet ist nicht nur der Thronfolger, der seinen Vater zu rächen versucht. Hamlet wird nicht nur durch seine Situation bestimmt, jedenfalls nicht eindeutig. Die Situation wird ihm aufgezwungen, Hamlet akzeptiert sie, bäumt sich aber gleichzeitig dagegen auf. Er nimmt die Rolle an, befindet sich jedoch selbst außerhalb der Rolle. Er ist jemand anderer als seine Rolle. Er überragt sie.«
Jan Kott – Autor zahlreicher Bücher über das Theater und über Shakespeare. Seine Untersuchung »Der leere Raum« wurde zum Klassiker der Theaterliteratur.
mit: Béla Milan Uhrlau (Hamlet), Ingrid Cannonier (Gertrud), Matthias Zajgier (Claudius, Geist von Hamlets Vater), Mira Fajfer (Ophelia), Denise Matthey (Horatio), Enrico Spohn (Laertes), Thomas Schrimm (Polonius)
- Regie:
- Marco Štorman
- Bühne:
- Frauke Löffel
- Kostüme:
- Sara Schwartz
- Musik:
- Thomas Seher
- Video:
- Stephan Komitsch
- Dramaturgie:
- Donald Berkenhoff
- Regieassistenz:
- Anna-Lena Henkel
- Soufflage:
- Constance Chabot-Jahn
- Inspizienz:
- Eleonore Schilha
Premiere am
Großes Haus
»(…) ›Was können wir tun?‹ Hamlet, wie Béla Milan Uhrlau ihn spielt (…) das einsame Kind und der verzweifelte Melancholiker (…) auch bei der Liebe ungelenk und eigentlich so unfähig zu ihr, dass es in den Armen von Ophelia (Mira Fajfer) ein einziges Jammern ist. (…) Ist er des Wahnsinns oder nicht? Hamlet, keineswegs ein Weichei, ist sich da nie ganz sicher, weil er viel zu beschäftigt ist mit seiner Wut. Und die ist zeitlos, woran Štorman keinen Zweifel lässt. (…) ein angehender Terrorist mit sanften Locken, fast nackt und mit lächerlicher Krone, auf der Suche nach dem Sinn seines Bebens. Uhrlau spielt beeindruckend eine gespaltene Persönlichkeit (…) Štorman hat sich seinen »Hamlet« zusammengepuzzelt, textuntreu und respektlos vor dem Material (…) In Ingolstadt geht dieses Wagnis, Shakespeare keck zu fragmentieren, zwischen emotionalen Höhenflügen und ernüchternden Abstürzen packend, schnell und erstaunlich plausibel über die Bühne.«
»Zügig zeigt sich, wo die Reise hingeht in diesem ›Hamlet‹: Hinein in ein dichtes Feld der Assoziationen, der Textcollage, der neu zusammengestellten Zusammenhänge und Sinnbezüge. An einer Art Regietisch, auf dem allerlei technisches Gerät versammelt ist, reißt Denise Matthey Wortfetzen aus Zeitungen und Zetteln und reiht sie neu aneinander. Eine Kamera überträgt die Ergebnisse ihres Tuns auf die groß dimensionierte Projektionsfläche im Bühnenzentrum, bis zuletzt, garniert mit einer ins Bild geschobenen Pistole, die den Abend prägende, zentrale Frage fett vor aller Augen stellt: Was können wir tun? Was verdammt noch mal können wir tun angesichts all dessen, was wir medial aus aller Welt ins Bewusstsein gespült bekommen, all des Unrechts und der Grausamkeit? Wenn der Geist von Hamlets Vater spricht, wird das untermalt von Bildern aktueller Kriege, Krisen und Notlagen. Und so sitzt man denn da in Marco Štormans klug komponierter Inszenierung und hat das Grundproblem Hamlets gleich selbst am Hals: Wie bitte geht die korrekte Reaktion auf deutlich wahrgenommenes Unrecht, wenn man zugleich in sich eine lähmende Ohnmacht aufsteigen spürt? Hilft Gewalt? Hilft der schützende Kokon soliden Irrsinns? Weltflucht vielleicht?
Štorman stellt diese Frage in den Mittelpunkt, nimmt den Text ausgiebig auseinander und setzt ihn rund um das Grundproblem neu zusammen. Gleich zu Beginn stellen sich Matthey als Horatio und Béla Milan Uhrlau als Hamlet die Frage nach dem Sein oder Nichtsein; sie sprechen den Text als Dialog und gewinnen ihm so in Rede und Gegenrede neue Dimensionen des Wägens und Sinnierens ab. Dass sie dabei daherkommen in der Anmutung von Ulrike Meinhof und Andreas Baader, baut zugleich schon die nächste Assoziationskette auf: Was bewirkt Wut?
Und so geht es eng anliegende eineinhalb Stunden immer an derlei Assoziationsketten entlang. Guerilla, Generationenkonflikt, Schuld, Rache: Das sind die Themen, die da mehr oder weniger offensichtlich durchdekliniert werden. Štorman verschwendet wenig Zeit damit, die – wohl als bekannt vorausgesetzte – Hamlet-Geschichte schlicht nachzuerzählen und lässt viele Szenen unter den Regietisch fallen. Er braucht sie nicht. Stattdessen geht er weit unter die Oberfläche des Textes mitten hinein in dessen Untiefen und zieht daraus existenzielle Fragen und ans Absurde grenzende Bilder heraus: Polonius in der Uniform britischer Grenadiere, eine Europafahne schwenkend. Laertes im Bobbycar. Hamlet als durchgeknallter Prinzenbub' mit der Knarre in der Unterhose.
Klaffende Unsicherheit. Paare, die sich aneinanderklammern. Klein sind sie alle vor der stark auf Fluchtpunkt gearbeiteten Schachtel-Riesenbühne, gebaut von Frauke Löffel. In der Mitte ein Rechteck voll Erde, zugleich Grab des Vaters und Graben zwischen den Spielebenen. Groß und größer wird darin aber Uhrlau in der Titelrolle: umwerfend, wie er den Wahn seiner Figur wachsen lässt und ihn zugleich fortwährend ins Komische herunterbricht, wie er vorderhand glimmt und hintenrum grinst. Genau darin besteht in dieser Inszenierung die Stärke der Figur: in ihrer ironischen Haltung. Denn das ist immerhin eine.
Dass dieser Abend trotz seiner kaleidoskopartig angelegten Anrichteweise nie den Blick aufs Wesentliche verliert, liegt an der konzentrierten Figurenzeichnung und Schauspielerführung. Ein gut funktionierendes Räderwerk. Dazu gehören auch die Kostüme von Sara Schwartz, die keinerlei historischen Zeithorizont, sondern allein die Typenschilderung bedienen. Ingrid Connonier als Gertrud etwa kommt daher in einem Kleid, wie es in seiner Unmöglichkeit eigentlich nur von Queen Mum getragen werden darf: eine Majestätsuniform, die zugleich von innerer Leere zeugt. Matthias Zajgier wiederum ist als Claudius im Frack ein aseptischer Snob.
Denise Matthey, Enrico Spohn und Thomas Schrimm spielen als Horatio und Güldenstern, Laertes und Rosenkranz und Polonius und Osrik souverän ihre Doppelrollen. Mira Fajfers Darstellung der Ophelia verzichtet auf alles romantische Gehabe; sie wird zur mädchenhaft-selbstbewussten, solidarischen Freundin Hamlets. Es geht insgesamt an dem Abend eher wenig emotional zu. Ophelias Selbstmord, all die wild bewegten Morde am Stückschluss, all das kommt in Ingolstadt nicht vor, weil es bei aller Darlegung der zugrundeliegenden Probleme auf deren radikale Lösung gar nicht mehr ankommt. Denn besagte Darlegung ist ohnehin radikal genug.«
»Wer Klassiker wie Kleists ›Käthchen von Heilbronn‹ oder Shakespeares ›Hamlet‹ auf den Spielplan setzt, tut gut daran, einen Regisseur zu suchen, der sich diese Vorlagen mit einem neuen Zugriff zu eigen machen kann. Mit dem Mittdreißiger Marco Storman hat das Stadttheater Ingolstadt einen Regisseur gefunden, der mit Leidenschaft und Intelligenz den Kern einer altbekannten Geschichte freilegt und sie radikal, aber mit großer Liebe zu den Möglichkeiten des Theaters auf unsere heutigen Konflikte und Befindlichkeiten befragt. Nach ›Käthchen‹ nun also ›Hamlet‹ von Marco Storman, ein Stück das, wie Dramaturg Donald Berkenhoff in einer Zitatenflut von Karl Jaspers bis Heiner Müller im Programmheft aufzeigt, zu allen Zeiten als Spiegel der jeweiligen Gegenwart interpretiert und manchmal auch ideologisch instrumentalisiert wurde. Marco Storman macht vom ersten Bild an klar, dass er in der Figur des Hamlet unseren Zeitgenossen erkennt, der aus dem sicheren Wohlstands-Refugium der intellektuellen Distanz gerissen, eine Welt voller Gewalt erkennen muss und vor dem Dilemma steht: Müssen wir Krieg und Terror mit Waffengewalt stoppen oder den Morden hilflos zusehen? Storman kondensiert den Text auf eine Spieldauer von eineinhalb Stunden und nur 7 statt über 20 Darsteller. Er nimmt dazu das Stück auseinander und baut es nach einer eigenen zwingenden Dramaturgie neu zusammen, verteilt Texte an andere Figuren, um prägnante neue Sichtweisen aufzuzeigen. Dies ist keine Aufführung, die den Zuschauer sanft in ferne Schicksale einlullt und wohlig überwältigt entlässt. Sie ist in ihren aktuellen, ungeschönten Bildern und ihrer Ausweglosigkeit nachhaltig irritierend und verstörend. Wir sehen eine Studenten-WG, die sich zunächst theoretisch mit Politik und Zeitgeschehen beschäftigt. Hamlet liest philosophische Werke. Sein Freund Horatio, hier eine Frau, die aussieht wie Gudrun Ensslin, legt auf ihrem Schreibtisch aktuelle Zeitausschnitte mit Krisenüberschriften auf eine Glasplatte, die dann auf die Bühnenrückwand proijeziert werden. Zum Schluss die Kernfrage dieses ›Hamlet‹-Abends: ›Was sollen wir tun?‹ Was sollen wir tun, wenn die Welt aus den Fugen ist? Weiter über ›Sein oder Nichtsein‹ philosophieren oder handeln. Zur Waffe greifen? Die drei jungen Menschen Hamlet, Horatio und Ophelia radikalisieren sich zu einem Terroristen-Trio angesichts des Königs- und Vatermords und der Aufrüstung des Staates. Haben sie sich zunächst mit heiterem Blutsbruder-Ritual die Pulsadern aufgeritzt, werden sie bald bedrohlich in schusssicheren Westen mit Pistolen in der Hand an der Rampe stehen. Ihre schwarze Flagge, die an die IS-Trophäe erinnert, trägt die Europasterne. Allerdings sind ihre Sturmhauben grell bunt wie die der Pussy-Riot-Proteste. Imitieren sie nur als spielerische Attitüde mediale Vorbilder von bewaffnetem Widerstand und Rebellion? Was ist Vorstellung, was Realität? Bei Marco Storman wird der Kriegszustand Dänemarks, die diplomatischen Verhandlungen und die drohende Okkupation nicht wie bei Shakespeare umständlich in mehreren Szenen erzählt. Er braucht keinen Norwegerprinzen Fortinbras als Hamlets Verhandlungspartner und schließlich Konkurrenten um den Thron. Stattdessen erkennt Hamlet durch den Geist seines Vaters nicht nur in seinem Onkel und neuen Stiefvater Claudius den Königsmörder, sondern auch das Ausmaß der Kriegsgewalt in der Welt. Wenn Hamlet begreift, dass seine Familienkrise auch eine Staatskrise ist, sehen wir auf der riesigen Rückleinwand eindringliche Bilder von Panzern und Kampf-Hubschraubern, von Flüchtlingslagern und Gipfeltreffen heutiger Staatsmänner. Das mag etwas plakativ wirken, aber es verkürzt den Weg zum Wesentlichen und vermittelt die bedrückende Eindringlichkeit, mit der auf Hamlet die Notwendigkeit des auch politischen Handelns einstürmt. Auch dieses kriegerische Erbe ist der Geist seines Vaters. Storman verzichtet auch auf Shakespeares finales Blutbad, bei dem sich alle gegenseitig mit Gift und Dolch umbringen. Sie leben weiter ohne Antwort auf die Frage ›Was sollen wir tun?‹ Was bleibt ist Ophelias Trauer über den Zustand der Welt, der ihr wohl kein Weiterleben möglich macht. Der Rest ist... Ratlosigkeit. Doch zuvor gibt es spannende neue Bezüge und Sichtweisen zu entdecken. Das Stück beginnt, indem die Erwartungshaltung an den berühmten Hamlet-Monolog sofort unterlaufen wird. Der 23-jährige Béla Milan Uhrlau als Hamlet muss nicht mit ›Sein oder Nichtsein‹ mit berühmten Hamlet-Darstellern konkurrieren. Horatio und Hamlet sprechen den Monolog dialogisch, fragend, mit spielerischem Erkenntnisvergnügen. Storman macht deutlich, der verehrte ermordete Vater war der Militarist, er hat den Krieg begonnen, den Staat hochgerüstet, während der Onkel und Mörder seines Vaters ein ziviler, freundlich lächelnder Staatsmann im eleganten schwarzen Anzug ist. Der Geist von Hamlets Vater? Der Täter kennt den Ablauf der Tat. Der mörderische Onkel selbst spricht die Aufklärung über die Ermordung des alten Königs und fordert Hamlet zur Rache auf. Hamlet hat zuvor lange angewidert beobachtet, wie er und seine Mutter ihr neues Eheglück kindisch zelebriert und sich knutschend aneinander geklammert haben. Hat Hamlet also vielleicht diese Version der Mordtat nur auf den verhassten Onkel und Stiefvater projiziert? Die Entlarvung des Elternpaars geschieht gespiegelt in Hamlets medialen Vorbildern. Der alte ›Hamlet‹-Film mit Lawrence Olivier läuft auf der Bühnenrückwand, während Hamlet seine Mutter und seinen Onkel zur Aufführung seines eigenen Stücks ›Die Mausefalle‹ überredet. Das hat zynischen Witz, wie Hamlet den beiden Mordverdächtigen Regieanweisungen erteilt, und Ingrid Cannonier und Matthias Zajgier unbeholfen den Text ihrer eigenen Untat von Hamlets Bühnenskript ablesen. Béla Milan Uhrlau als Hamlet ist kein Melancholiker. Er bringt den Charme eines netten, wohlerzogenen und ein bisschen aufmüpfig-spitzfindigen Nerds mit. Er grinst frech und lacht sich über das Versöhnungs- und Stellenangebot seines Stiefvaters albern kaputt. Und er wird immer mehr zum aufgeregten Fanatiker mit der Waffe in der Unterhose. Doch unter seiner Wut und Verzweiflung liegt immer wieder das selbstironische Grinsen über die eigene Hilflosigkeit. Und mit den Requisiten seines Theaterstücks, Halskrause und Krone, entsteht das Bild eines grotesken und unberechenbaren Clowns zwischen gespieltem Wahnsinn und realem Irrewerden an der Welt. Denise Matthey als Horatio zeigt Entschlossenheit zur Rebellion und zerbricht daran. Mira Fajfers Ophelia ist keine romantische Schwärmerin. Diese Frauengeneration ist selbstbewusst genug, die Vorhaltungen der Eltern brav abzunicken und heimlich darüber zu grinsen. Sie sagt konfliktscheu brav ja und lächelt über die Ermahnungen des Vaters und veralbert die ihres Bruders Laertes. Auch er, der ausgeflippt lässige Typ in kurzen Hosen und Schlabberhemd, der auf einem Bobbycar fahrend Generationenkonflikten ausweicht, kommt als martialischer Soldat zurück. Kaum wiederzuerkennen: Enrico Spohn. Der Polonius von Thomas Schrimm ist mit britischer Bärenfellmütze die Europafahne schwenkend ein operettenhaft-treudoofer Höfling und besorgter Vater mit komischen Zügen. Ingrid Cannonier spielt faszinierend eine Königin, deren Privatleben immer auch öffentlich ist, an der Schwelle zum Älterwerden. Sehr schön, wie sie dem Jugendwahn mit aufgesetzter Kindlichkeit und kurzem Röckchen hinterherläuft. Die Fassade der strahlenden Repräsentantin muss aufrechterhalten werden, und sie genießt diese Rolle. Aber der einst so liebe Sohn ist ihr entglitten. Wir sehen in einem Video, wie er sich zärtlich an ihre Schulter kuschelt, während er sie gleichzeitig an einen Stuhl gefesselt hat und mit einer Pistole bedroht. Und da entgleitet ihr staatstragendes Lächeln. Auch Claudius hat Marco Storman verstörend gegen den Strich gebürstet. Statt eines finsteren Mörders und Machtusurpators spielt Matthias Zajgier einen freundlichen, sanften Diplomaten mit höflichem Dauerlächeln. Die minimalistische Musik von Thomas Seher bleibt zurückhaltend, die Videos von Stephan Komitsch sind vor allem im Umschnitt von Aufzeichnung und Live-Kamera trickreich, die Bühne von Frauke Löffel bietet hohe helle Wände (vielleicht die einzige Dänemark-Reminiszenz), die Rampe und einen morastigen Boden als ›Kriegsschauplatz‹, den es zu überwinden gilt. Marco Storman ist jedenfalls eine zwingende neue Sicht auf Shakespeares ›Hamlet‹ gelungen, die ins Mark eines aktuellen Dilemmas trifft.«