Foxfinder (DSE)
Deutschsprachige Erstaufführung von Dawn King
Deutsch von Anne Rabe
Komm ins Offene – wir trotzen der Gefahr! – Ein kleines Haus auf dem Lande, ein Paar erwartet einen Mann, der dann aus dem strömenden Regen in die karge Stube tritt. Dieser junge Mann, er ist erst 19 Jahre alt, beginnt ein peinigendes Verhör. Er will wissen, warum die Bauern nicht im vorgegebenen Plan geblieben sind, die Erträge der Felder sind deutlich rückläufig. Warum gibt es kein Wachstum? Der Ehemann muss eine Depression gestehen, die ihn, nach dem Tod des einzigen Sohnes, arbeitsunfähig gemacht hat. Ist das Paar noch in der Lage den Hof zu bewirtschaften? Und sind tatsächlich Füchse am verrotteten Zustand der bäuerlichen Gesellschaft Schuld? Sie werden gejagt und vernichtet. Jeder Hof, der von einem Fuchs heimgesucht wurde, muss umständlich gereinigt werden. Jede moralische Verfehlung, jeder Zweifel, jeder Protest, alles hat mit den Füchsen zu tun. Es gibt politische Gruppen, die behaupten, dass es gar keine Füchse mehr gibt. Aber davon wollen die Foxfinder nichts wissen. Sie streifen durch die Wildnis auf der Suche nach den Tieren, die sie zu einem Feindbild aufgebaut haben. Die Foxfinder bilden ihren Nachwuchs in strengen Schulen aus, im strikten Zölibat. Die Nation soll gereinigt werden. Jeder wird sein Bestes tun und wer es nicht kann, wird eliminiert. Man droht den Bauern mit Arbeit in einer Fabrik, in der die Arbeiter im Durchschnitt nur drei Jahre überleben. Was hilft gegen diese allmächtigen Foxfinder? Der Bauer beschließt, den Jäger mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Er geht mit ihm des Nachts ins Offene, und er beweist allen, dass dieser Jäger in Wahrheit der Fuchs ist, der dann auch erschossen wird.
Das Stück der jungen Autorin Dawn King liest sich wie eine politische Parabel. Es liest sich auch wie ein historisches Drama aus einer bäuerlichen Epoche. Und es liest sich wie die Beschreibung einer fernen/nahen Zukunft: der Überwachungsstaat mit einer hemmungslosen Ideologie des Wachstums.
»Das Stück beinhaltet sowohl Einflüsse von Arthur Miller als auch von Kafka, bleibt aber dennoch eine eindrucksvolle individuelle Arbeit, die noch lange Zeit nachdem man sie gesehen hat im Gedächtnis bleibt.« The Guardian
»… ein mutiger, oftmals brillanter Stoß in eine neue Richtung.« The Times
mit: Béla Milan Uhrlau (William Bloor - ein Foxfinder (19)), Matthias Zajgier (Samuel Covey - ein Landwirt (Ende 30)), Patricia Coridun (Judith Covey, seine Frau (Anfang 30)), Teresa Trauth (Sarah Box, eine Nachbarin (Anfang 30))
- Regie:
- Donald Berkenhoff
- Ausstattung:
- Nikolaus Porz
- Musik:
- Deborah Wargon
- Video:
- Stefano Di Buduo
- Regieassistenz:
- Mona Sabaschus
- Soufflage:
- Susanne Wimmer
- Inspizienz:
- Eleonore Schilha
Premiere am
Großes Haus
»Mit ›Foxfinder‹ hat die Autorin Dawn King einen Hit geschrieben. Das Stück spielt in keinem bestimmten Land zu keiner bestimmten Zeit und lässt gerade daduch Deutungsspielraum; es weist ebenso parabelhaft auf zeitgenössische Überwachungsstaatstendenzen wie auf Ängste, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Es zeigt, wie die Möglichkeit, nur ein wenig Macht über einen Mitmenschen zu gewinnen, ein faschistisches System stützen kann, wie Aberglaube in der Lage ist, eine technokratische Welt ins Chaos zu stürzen, und wie der Mensch seinem Mitmenschen ein Wolf oder besser: ein Fuchs sein kann.
Der Fuchs ist in dieser Welt der Inbegriff alles Bösen. Die Füchse rauben kleine Kinder. Wenn die Bestien in der Nähe sind, verlieren die Bürger den Verstand und fallen wie Tiere übereinander her. Deswegen müssen die Füchse gejagt werden, und diejenigen, die von ihnen befallen wurden, müssen ebenso eliminiert werden, indem man sie vom Land ihrer Vorfahren vertreibt und in Fabriken steckt, wo sie sich innerhalb von drei Jahren zu Tode arbeiten.
In dieser genial aberwitzigen Ausgangssituation hetzt nun Dawn King vier Personen aufeinander, die in pointierten Stakkato-Dialogen ihre kompletten Daseinsentwürfe auf den Kopf stellen. Das Bauernehepaar Judith und Samuel hat die Ehre, den Foxfinder William für kurze Zeit zu beherbergen. Ihnen ist schnell klar, dass er nicht nur bei ihnen wohnen will, sie sind auch das Objekt seiner Untersuchungen. William sagt: ›Samuel, diese Fragen dienen lediglich dazu, mir ein Bild von der Situation vor Ort zu machen.‹ Und Samuel rastet aus: ›Es gibt hier keine Situation.‹
Von wegen. Und was für eine Situation es hier gibt.
Ausstatter Nikolaus Porz hat für das Zusammentreffen dieser Personen einen Bungalowcontainer geschaffen, einerseits futuristisch, weil man in den Wohnbereich hochsteigen muss, andrerseits schäbig, weil die Wände mit Wellblech ausgekleidet und die Räume mit Sperrmüll möbliert sind, dazu rieselt permanent Videoregen im Hintergrund – insgesamt ein idealer Ort für die Stimmung, die ›Foxfinder‹ ausmacht.
Allein der Wahnsinn kommt stark gezügelt daher. Donald Berkenhoff inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung zu Beginn äußerst vorsichtig. Er lässt jedem Satz viel Zeit nachzuhallen. Patricia Coridun und Matthias Zajgier sind ein distanziertes Paar. Sie stecken in grauen Kleidern, die an ein Sektengewand erinnern, und leben unter demselben Dach nur noch nebeneinander her. Ihnen ist ein Kind ertrunken, seitdem finden sie nicht mehr zueinander.
Auch Béla Milan Uhrlau als der Foxfinder William ist anfangs keineswegs eine unsympathische Verkörperung der Macht. Unsicher schleicht er sich ins Haus, lässt sich von den Bewohnern die Ausweise zeigen, damit er sicher sein kann, dass nicht Fremde ihre Identitäten geklaut haben. Ein jungenhafter Mann, dem von klein an der Kopf gewaschen wurde, der den Quark, den er erzählt, womöglich selbst glaubt und der sich heimlich nachts geißelt. Erst als er Judith allein zu den Sexualpraktiken des Paars befragt und ihr unmissverständlich zu Leibe rückt oder als er Samuels Trauma wieder heraufbeschwört, indem er ihn zwingt, den Tod des Sohns im Detail zu schildern, schimmert sein wahres Gesicht durch die Fassade.
Eine Nachbarin taucht auf mit einem Flugblatt, das behauptet, alle Füchse seien tot. William durchwühlt die Schränke und kennt bald alle Geheimnisse. Er bringt die anderen dazu, sich gegenseitig zu verraten oder ihm Zugeständnisse zu machen. Samuel verwandelt sich in einen fanatischen Fuchsjäger.
Zum Schluss wird viel geschossen und gebrüllt und beinahe gevögelt, es rührt sich richtig was, wobei Dawn King es in ihrem Text geschickt offen lässt, ob die Leute wirklich austicken oder ob dieser Kontrollverlust kalkuliert ist. Man spielt das Spiel solange mit, bis man die Regeln selbst bestimmen darf. Hier wird die Ingolstädter Version wiederum laut und eindeutig. Samuel verwandelt sich in einen ballernden Rambo, und William erliegt seiner Erschöpfung und Judiths Reizen. Ein beeindruckendes Finale, aber im Vergleich zum Text wenig subtil.
Gleichwohl: ›Foxfinder‹ ist eine Entdeckung, und der Ingolstädter Abend weckt allemal Lust weiterzuverfolgen, wie andere Inszenierungen die reichen Möglichkeiten dieses Textes ausloten.«
»Eine Gesellschaft wird mehr von den Feindbildern bedroht, die sie sich schafft, als von den Feinden selbst. Eine Gesellschaft vergewissert sich ihrer selbst, indem sie ausgrenzt. Im Fall von Dawn Kings düsterer, kafkaesker, negativer Endzeit-Vision in George-Orwell- und Aldous-Huxley-Tradition, erstaunlich nahe auch bei so absurd-grusligen Hörspiel Klassikern aus den 50er Jahren wie Günter Eichs ›Träume‹-Zyklus oder Ilse Aichingers “Knöpfe”, sind es rätselhafte, gemeingefährliche, übersinnlich begabte Füchse, die von einer anonymen Obergewalt zu den Schuldigen am katastrophalen Zustand des Staates ernannt werden und die von den ›Foxfindern‹ aufgespürt werden sollen.
Der Britin King gelingt es, anhand dieser schnell entschlüsselbaren Parabel das Bild eines Staatsgebildes zu erzeugen, das durch ständiges Nachspüren nach potenziellen Feinden die Bevölkerung in einen permanenten Angstzustand zwingt. Sie zeigt die Mechanismen des Totalitarismus’ – und wie schnell eine Gesellschaft in eine manipulierte, geknechtete abrutschen kann. Die Suche nach Staatsfeinden schlägt verteufelt rasch in Paranoia um, und die wiederum in eine Schutz-Diktatur, die schließlich nur noch die Machthaber vor der Bevölkerung schützt. Eine Gefahr, die keineswegs in der Vergangenheit angesiedelt ist. Starker Stoff also. Der zunächst in Donald Berkenhoffs Inszenierung am Stadttheater Ingolstadt stark bebildert wird. Ausstattung (von Nikolaus Porz), Video (von Stefano Di Buduo) und Musik (von Deborah Wargon) bilden zusammen ein düsteres, verregnetes, graues Bild eines zweistöckigen Landguts, in dem oben gewohnt wird und unten allmählich alles absäuft und zu Dreck wird. Die Schauspieler bewegen sich langsam, bedächtig, sprechen mit beträchtlichen Pausen, und so ist rasch erkannt: Wir bewegen uns hier auf einem Ungrund, in einer nachmitternächtlichen Nichtwirklichkeit, im Nichtzuhause einer magischen Gespensterwelt.
In diese Nichtwelt von Bauer Samuel (wild: Matthias Zajgier), seiner Frau Judith (verzweifelt: Patricia Coridun) und der Nachbarin Sarah (porentief durchängstigt: Teresa Trauth) platzt der Foxfinder William, der von Béla Milan Uhrlau überzeugend als junger Geisterjäger mit unheimlich negativer Aura gezeigt wird, der strahlt, wenn andere leiden. (...)«
»(...) Die junge britische Autorin Dawn King hat mit ›Foxfinder‹ ein bemerkenswertes Stück über einen Überwachungsstaat mit abstruser Feindbilddoktrin in der zeitlosen Atmosphäre eines düsteren Märchens geschrieben.
Dem Stadttheater Ingolstadt ist es gelungen, die deutschsprachige Erstaufführung dieser Politparabel an Land zu ziehen, die sicher nun auch im deutschsprachigen Raum die Bühnen erobern wird. Mutig auch die Entscheidung des Stadttheaters, das 4-Personenstück nicht ins Kleine Haus, sondern auf die große Bühne zu stellen.
Regisseur Donald Berkenhoff hat das Psychodrama einer Ehe,die Endzeitstimmung einer Klimakatastrophe, die Bedrohung durch ein staatliches Wahnsystem und die Dramatik der Frage, wie man einem solchen System entgehen kann, atmosphärisch dicht und einfühlsam in Szene gesetzt. Eine biblische Geschichte könnte so beginnen oder ein düsteres Märchen, eine unheimliche Erzählung von Franz Kafka oder ein Endzeitdrama.
Es hört nicht mehr auf zu regnen, die Felder sind überflutet, die Ernte verfault, eine Hungersnot droht. Ein Kind ist ertrunken. Der Vater war danach lange arbeitsunfähig.
Angstvoll erwartet das Ehepaar Samuel und Judith auf seinem entlegenen Bauernhof am Wald den Besuch eines Unbekannten, der seit seiner Kindheit dafür ausgebildet wurde, die Ursache für all diese Missstände aufzuspüren: die Füchse. Sie nisten sich in den Gedanken und Träumen der Menschen ein und machen sie zu ihren Kollaborateuren. Wer nicht an die Füchse glaubt, wer sich dieser abstrusen Staatsdoktrin widersetzt, verliert seinen Hof, muss in einer totbringenden Fabrik arbeiten oder wird tot aufgefunden.
Der staatliche Kontrolleur, der Foxfinder, ist mit Béla Milan Uhrlau interessanterweise ein fast schüchterner, sanfter, blonder Junge, der Napola oder einer asketischen religiösen Sekte entsprungen. Er führt seine Verhöre mit lächelnder Freundlichkeit als Inquisitor in der Gestalt eines Heilsbringers. Er inspiziert alles, stellt intime Fragen nach dem Tod des Kindes und dem Sexualleben, (...) Doch der Foxfinder beginnt allmählich selbst an der Existenz der Füchse zu zweifeln, als der Bauer Samuel ihn mit seinen eigenen Waffen schlägt und zum noch fanatischeren Fuchsjäger wird.
Matthias Zajgier spielt glaubhaft den aus der Schockstarre der Depression rebellisch werdenden Bauern, der sich mit wütendem Aktionismus in den Fuchswahn hineinsteigert, um seine eigenen Schuldgefühle niederzukämpfen - oder den Foxfinder auszuschalten.
Patricia Coridun als Bauersfrau leidet still unter der zerbrechenden Ehe und verbirgt ihre Angst hinter bemühter Freundlichkeit. Ihre mütterliche Art den Tisch zu decken, ihre zurückhaltende menschliche Zuwendung bringen den 19jähirgen Foxfinder, der jeder familiären und menschlichen Bindung entzogen wurde, verständlicherweise aus der Fassung.
Teresa Trauth zeigt als Nachbarin Sarah die Konflikte zwischen Angst, Zivilcourage und Denunziation.
Bühnenbildner Nikolaus Porz hat eine eindrucksvolle Bildwelt für den symbolträchtigen Stoff gefunden. (...) Romantischer Märchenwald und futuristische Zivilisationsreste, Vergangenheit und Zukunft durchdringen sich auch in diesem Bühnenbild.
Donald Berkenhoff schafft von Anfang an eine beklemmende Atmosphäre zwischen Endzeitstimmung und kafkaesker unheimlicher Bedrohung. Bis zur Pause strömt realer Dauerregen, später sind es Videofilme von Winterbäumen, die die zunehmende Vereisung spürbar machen. Fast irreal langsam, zu den sirrenden Klängen der Musik von Deborah Wargon scheint sich die Wirklichkeit zu verändern, als der Foxfinder in die wortkarge Welt des Ehepaars eindringt. (...)
›Foxfinder‹ ist ein ist ein spannender, eindrucksvoller Theaterabend. Die aus London angereiste Autorin Dawn King, die bereits viele Inszenierungen ihres Erfolgsstücks zwischen London, den USA und Schweden gesehen hat, war jedenfalls glücklich über die Ingolstädter Aufführung.«
» ... Regisseur Donald Berkenhoff lässt die Akteure über weite Strecken mit Langsamkeit agieren wie in dunklen Träumen. Höchst ästhetisch ist das Bühnenbild von Nikolaus Porz: ein aufgestelzter offener Kasten mit den häuslichen Schauplätzen, meistens in düsteres Halbdunkel gehüllt. Erst prasselt Regen herunter, dann wogt im Hintergrund bedrohlich der Wald (Video: Stefano Di Buduo). Am Rande verharrt regungslos ein Reh mit Kitz. Leise flirren und surren schicksalhaft anmutende Töne (Musik: Deborah Wargon).
Stark agiert Matthias Zajgier als Bauer. Sehr gut auch in den weiteren Rollen Béla Milan Uhrlau, Patricia Coridun und Teresa Trauth. Bei der Premiere gab es großen Beifall, auch für die eigens aus London angereiste 36-jährige Autorin.«