Ich Taugenichts
Projektentwicklung nach Motiven von »Aus dem Leben eines Taugenichts« von Joseph von Eichendorff
für alle ab 12 Jahren
»Vergiss nicht – man braucht nur wenig, um ein glückliches Leben zu führen.« (Marc Aurel) – Alles wird schneller, effektiver, besser – und alles geschieht zu seinen Gunsten: Im Kleinkindalter schon werden seine Anlagen gefördert; in der Schule darf er Bestleistungen bringen; Ausbildung und Studium sollte er flott, fachorientiert, effizient und möglichst ohne Einbußen an Allgemeinbildung absolvieren; und nach obligatorischen Auslandserfahrungen kann er dann im Arbeitsleben maximale Flexibilität und gnadenlosen Ehrgeiz unter Beweis stellen; ausreichende soziale und kreative Kompetenzen sollte er sich nebenbei freilich auch schon irgendwie angeeignet haben. Auf Jobkompatibilität getrimmt, tüchtig, zielorientiert, leistungswillig und gesund, äußert er sich zu seinen Schwächen höchstens noch beim Therapeuten. Der gesellschaftlich voll funktionsfähige Mensch.
Wer aber so einer gar nicht sein will. Wer Müßiggang der Superkarriere vorzieht. Wer statt rasendem Vorankommen die Entschleunigung wählt. Wer lieber »chillig« bleibt, wenn andere prusten. Ist der dann gleich ein Nichtsnutz? Ein Herumtreiber? Ein Versager? Eine Null? Eine Niete? Ein Taugenichts?
Mag sein. Und wenn schon?
Die Projektentwicklung »Ich Taugenichts« prüft die Paradigmen unserer von Leistungsdruck, Burnout und ADHS geprägten Zeit. Sucht Sinnhaftes im Ökonomisierungswahn; wägt Gelassenheit ab gegen Stress und Rastlosigkeit; fördert zu Tage, was verborgen bleibt, wenn Zeit zum Faulenzen fehlt; fragt, ob nicht vielleicht die einzige Möglichkeit zum Widerstand in Verweigerung und Untätigkeit liegt. Schließlich schrieb schon Lao Tse, der legendäre chinesische Philosoph: »Übe dich im Nichttun, und alles fügt sich zum Guten.«
Von Eichendorffs Romanheld inspiriert, legt in »Ich Taugenichts« das Ensemble des Jungen Theaters gemeinsam mit jungen Leuten aus der Stadt Zeugnis ab vom Hamsterrad des Lebens; von Zukunft als Schreckgespenst; vom Gefangensein in Konventionen; vom Zwiespalt zwischen dem »fein, nüchtern und arbeitsam sein«, um es »mit der Zeit auch mal zu was Rechtem zu bringen« und dem Drang nach Freiheit von innerer Leere. Sie tun es in ihren Worten, ihrer Musik, ihrer Poesie – sie tun es in ihrer Zeit.
mit: Jennifer Kornprobst (Schauspieler), Lukas Umlauft, Péter Valcz, Michaela Goß (Jugendliche), Silke Kabitzke, Matthias Ernst, Josef Finger, Matthias Hetzer
- Regie:
- Markolf Naujoks
- Musikalische Leitung:
- Matthias Neuburger
- Ausstattung:
- Marina Stefan
- Video:
- Stefano Di Buduo
- Dramaturgie:
- Teresa Gburek
- Assistenz und Inspizienz:
- Linda Göllner
Premiere am
Möbel Scheitza
»Ein (Lebens)Künstler, dieser faule Müllerssohn, den bis zum Happy End mitunter
nur der Liebeskummer etwas zwickte!
Und Alexander Supertramp? Fährt knapp 200 Jahre später im Zug durch kalte
Landschaft auf und davon, spricht einsam in Auen und Wäldern in die Videokamera
und dann – ist er verschwunden. Eher Verweigerer als Lebenskünstler scheint der
unwillige Lagerist, den stets die vorbestimmte Zukunft quälte. Was ist also ein
Taugenichts? Frei? Oder Versager? Optimistisch auf der Lebensreise oder
pessimistisch auf der Flucht? Solche Fragen stellt das Projekt ›Ich Taugenichts‹ des Jungen Theaters Ingolstadt,
das am Samstag ›downtown‹, nämlich im Möbelhaus Scheitza, als lebendiges
Jugendstück umjubelte Premiere feierte. Selbst entwickelt haben Regisseur Markolf
Naujoks, Schauspieler des Stadttheaters, Jugendliche aus dem Umfeld der
Boomtown Raps und eine Musikercrew um Matthias Neuburger die einstündige
Produktion, die mit atmosphärischen Videoeinspielungen (Stefano Di Buduo), wilder, melancholischer,
zirzenischer Musik zwischen Rap, Volkslied und Chanson, surrealen Bildern und herrlichen Spielszenen
aufwartet. Und natürlich mit dem riesigen ehemaligen Teppichverkaufsraum des Möbelhauses, den Ausstatterin
Marina Stefan zu einer von keinem Podest begrenzten Gesamtbühne machte. Was für ein Raum: Standuhr und
Kommode, Esstisch, Sitzgruppe, Sofa – mit lockerer Hand hat Stefan die Ingredienzien altbackener
Wohnanständigkeit über die wohl mehrere hundert Quadratmeter große rote Teppichfläche gewürfelt. Und
dabei auch ein einsehbares Kabinett für die famosen Musiker (die Blechbläser Quirin Birzer, Xaver Brems, Josef
Finger, Hans Janouschek und Markus Wiesnet, Schlagzeuger Matthias Hetzer und Schauspielerin Jennifer
Kornprobst am Akkordeon) nicht vergessen. Hier, in diesem spießigen Ambiente also beginnt sie: Die Gedenkfeier (!) für Alexander Supertramp. Freunde und Geschwister sind zusammengekommen, um sich des Verschollenen (Selbstmörders) zu erinnern, der zwischendrin noch quicklebendig aus seinen Videobotschaften blickt (der bemerkenswert aufspielende Erik Lutz ist tatsächlich nur auf der Leinwand zu sehen).
Das freilich geschieht nicht unbedingt linear. Da singt ein Mädchen hinten im Raum, und ein Mann mit
Eselskopf taucht auf, jemand legt unablässig Puzzles, ein Stück Eichendorffscher ›Taugenichts‹ wird
vorgelesen, pausenlos fährt der Zug auf Video, und schon vorher schälte jemand aus mehreren Plastiktüten
pantomimisch eine Pistole. Es dauert in der Tat ein wenig, bis die Sache Richtung bekommt, dann aber geht es
dicht auf dicht. Das große Thema: ›Ich will nicht so werden wie meine Eltern‹. Für die steht im Spiel Jennifer Kornprobst, die als Alexander-Schwester die Freunde zwar zunächst ständig mit Fragen wie ›Was ist denn so schlimm daran, einen Job zu haben‹ löchert, sich aber quasi als Antwort immer hemmungsloser der Wodkaflasche widmet, was bei ihr zu radikaler Wahrheitssucht und im Stück zu ungeheuer komischen Momenten führt. Perfekt getimed sind die Gemeinschaftsszenen, etwa das scharadenhafte Berufseignungsraten am großen Esstisch, das eine weitere Qualität der Inszenierung zeigt: Überraschend mithalten mit den Profis Kornprobst, Lukas Umlauft und
Péter Valcz können die ›Laien‹ Michaela Groß, Silke Kabitzky und Matthias Ernst, der einen wunderbaren Rap
hinlegt. Den gänsehäutigsten Moment in dieser packenden Produktion über junge Menschen und ihr
Zukunftsbild aber schaffen doch zwei Schauspieler: Umlauft und Kornprobst zu Bläserklang mit ihrer so wilden
Version von Peer Rabens ›Die großen weißen Vögel‹ – es ist ein Abschiedlied für einen Toten.