Der Heiratsantrag / Der Bär / Über die Schädlichkeit des Tabaks
Ein komischer Abend von Anton Tschechow
Verlorenes Glück – Anton Tschechow beschäftigt sich in seinen Stücken immer wieder mit Personen, die des Lebens überdrüssig sind, Menschen, die sich in der Welt verloren fühlen und keine Zukunft für sich sehen. Die Figuren in seinen Werken halten der spießigen und in ihren Strukturen gefangenen Gesellschaft einen Spiegel vor. So auch die Charaktere in den Einaktern »Der Bär«, »Der Heiratsantrag« und »Über die Schädlichkeit des Tabaks«. Sei es der grobschlächtige »Bär« Grigori Smirnoff, der in der verhärmten Witwe Jelena Popowa eine Frau erkennt, mit der es sich nicht nur wunderbar streiten, sondern auch lieben lässt; sei es der »Heiratsantrag« des etwas hypochondrischen Junggesellen Lomow, der bei jedem Versuch im Streit endet; sei es der Vortrag über die »Schädlichkeit des Tabaks«, in dem ein Pantoffelheld sich in Rage redet und letzten Endes feststellen muss, dass nicht der Tabak, sondern seine Frau das eigentliche Problem ist. Es geht um Nachbarschaft, Ehe, Liebe, aber auch um Streitigkeiten und Vorurteile, es geht um das Abpassen des richtigen Augenblicks und die ständige Gefahr des Scheiterns am eigenen Glück, kurzum, es geht um typisch Menschliches.
In den drei frühen Werken zeigt sich vor allem Tschechows humoristische Ader. Die typische Situationskomik mit zahlreichen Anspielungen auf die verlogenen Sitten des russischen Kleinadels entlarvt nicht nur die Ehe, die in erster Linie eine Frage der Mitgift und des Geldes anstatt der wahren Liebe ist.
Tschechows Einakter sind genau beobachtete Miniaturen über das Beziehungsleben der Menschen – Verhaltensanalysen, die mit verbalem Slapstick im Spannungsfeld zwischen Bindungswunsch und Eigenbrötlerei ein fröhlich-pessimistisches Bild des Menschen zeichnen. Tschechow zeigt Figuren, die auf dem Weg zum gemeinsamen Glück doch noch die eine oder andere Hürde meistern müssen – und sei es nur ein Heiratsantrag.
mit: Pavel Fieber (Stefan Stepanovic Cubokov, Gutsbesitzer / Luka, Lakai de Popva / Ivan Inavanovic Njuchin), Olaf Danner (Ivan Vasijevic Lomov, Cubokovs Nachbar / Grigorij Stefanovic Smirnov, Gutsbesitzer)
- Regie:
- Nora Schüssler
- Dramaturgie:
- Knut Weber, Bettina Gabler
- Soufflage:
- Constance Chabot-Jahn
- Inspizienz:
- Annette Reisser
Premiere am
Studio im Herzogskasten
»Sehr vergnügliche 90 Minuten hat die junge Regisseurin Nora Schüssler auf der Stadttheater-Spielstätte Studio im Herzogskasten mit drei Einaktern von Anton Tschechow eingerichtet. Allemal geht es um Absurditäten in den Beziehungen zwischen Mann und Frau.
In ›Der Heiratsantrag‹ will ein Gutsbesitzer (Olaf Danner köstlich tumb und wehleidig) um die Hand der Nachbarstochter anhalten (herrlich schrille Carolin Schär). Statt der Romanze bahnt sich allerdings ein zäher Streit an über die Besitzverhältnisse der zwischen den beiden Latifundien liegenden Ochsenwiese – die ja ohnedies bei Eheschließung dem jungen Paar gehören würde. Und gleich nach der Versöhnung kommt es schon zur nächsten Verwerfung. Ähnlich verrückt gestaltet sich der Verlauf in „Der Bär“. Darin spielt Carolin Schär eine neurotische junge Witwe. Olaf Danner erscheint als Gläubiger des Verblichenen und will nicht weichen ohne Bares. Auch hier gibt es heftigste Auseinandersetzungen. Man verabredet gar ein Pistolenduell. Fairerweise führt der potenzielle Gegner die Dame in den Gebrauch der Schusswaffe ein, ehe die unversehens entflammte Liebe den Treffer macht. Der Dritte im blendend eingestellten Schauspieler-Trio, Pavel Fieber, muss sich bis dahin mit kleinen Rollen begnügen als Vater der keifenden Tochter und Klarinette blasender Lakai im Trauerhaus. Im dritten Stück aber, einem Monolog, hat er seinen starken Auftritt. Ein leidgeprüfter Mann soll im Auftrag seines Ehedrachens den Vortrag ›Über die Schädlichkeit des Rauchens‹ halten, verheddert sich jedoch in einen Klagegesang über das Unglück seines Lebens – und nimmt am Ende eine
Zigarette.
Die Regisseurin setzt effektvoll auf Tschechows Witz und trifft durch die ins Skurrile überdrehte Spielweise präzise den Stil der Farce dieser Etüden des großen russischen Meisters. Ausstatterin Hsiu-Ying Hou hat, sehr originell, ein raffiniert illuminiertes Kabäuschen auf die Minibühne gestellt und stilvolle Kostüme entworfen. Für die sehenswerte Aufführung gab es bei der Premiere starken Beifall.«
»(...) Mit Carolin Schär, Olaf Danner und Pavel Fieber hat Nora Schüssler zwei Einakter und einen Theatermonolog von Anton Tschechow zu einem Beziehungsreigen über die Absurditäten der Ehe zusammengebunden.
Bereits das Bühnenbild von Hsiu-Ying Hou im Studio im Herzogskasten schlägt einen melancholisch-surrealen Ton an. Ein Haus aus transparenten purpurroten Stoffwänden, ein Mädchen sitzt auf einer Schaukel im Inneren des Hauses, eine Spieluhr lässt unendlich Zeit vergehen, eine romantische Atmosphäre, vielleicht auf einem Landsitz im zaristischen Russland. Jedenfalls: Ein Mädchen langweilt sich und träumt - wohl von der großen Liebe. Dann kommt ein Bräutigam, in Olaf Danners grotesk-komischer Charakterisierung mit zittrig gehaltenem Blumenstrauß, vor Aufregung piepsender Stimme, mit hypochondrisch in Panik zitternden Lippen, zuckenden Augen und tollpatschig einknickenden Hüften – und die Diskrepanz zwischen Traum und Wirklichkeit wird offenbar. Und das heißt bei diesen drei Miniaturen von Anton Tschechow: Die Komödie beginnt.
Die beiden geraten, noch bevor er seinen Heiratsantrag loswerden kann, in heftigen Streit, ob die Ochsenwiesen nun ihm oder ihrer Familie gehören und bei einem zweiten Versuch, ob ihr oder sein Jagdhund nun der beste weit und breit ist. Eheschließungen basieren nicht unbedingt auf Harmonie, zumindest nicht bei Tschechows satirischem Blick auf menschliche Schwächen und Missverständnisse.
(...)
Regisseurin Nora Schüssler hat die drei isolierten Einakter zu einem Beziehungs-Reigen zusammengebunden. Sie hat Übergänge inszeniert, die eine Fortschreibung der Geschichten als ewig gleiche Absurdität des Geschlechterkampfs nahelegen.
So wird der Pferdekopf, der im ›Heiratsantrag‹ in der Dachluke sichtbar wird, auf dem Kopf des Heiratskandidaten aus ›Heiratsantrag‹ und ›Bär‹ zum Alter Ego des von seiner Frau zum Zirkustier dressierten Mädchenpensionat-Lehrers, der auf Geheiß seiner Frau einen Vortrag über die Schädlichkeit des Tabaks zu halten hat und sich immer mehr in eine wütende Anklage über die Schädlichkeit seiner Frau für sein Selbstwertgefühl hineinsteigert. Und sein Spiegelbild, der Mann mit dem Pferdekopf, unterstützt ihn dabei lautstark rumorend.
Was mit Olaf Danners herrlich komischer Charakterisierung eines bis zum Slapstick schüchternen und wehleidigen Bräutigams begonnen hat, endet in Pavel Fiebers brillant zwischen dem lustlosen Bemühen, seinem Vortragsthema irgendwie gerecht zu werden und der lustvoll ausbrechenden Klage über sein erbärmliches, unterdrücktes Dasein, beklemmend tragikomisch und surreal. Und selbst die Zigarette, die er sich nach seinem abgebrochenen Vortrag über den Tabak endlich anzünden will, muss er wieder resigniert an seine Frau abgeben. Als Vater mit sprachlichen und gestischen Marotten, als Klarinette spielender Diener bleibt Fieber dezent und überlässt den Hauptfight den Heiratskandidaten wider Willen.
Carolin Schär spielt in beiden Einaktern großartig die Brüche zwischen heiratswillig sanftem Mädchen bzw. würdevoll trauernder Witwe und wilder Furie.
Ein Tschechow-Abend, der unter der vordergründig komischen Anekdote die gar nicht mehr lustige Absurdität von Beziehungen aufdeckt, in denen Mann und Frau ganz und gar nicht das Gleiche wollen und dennoch eine Ehe eingehen.«