Die Opferung von Gorge Mastromas
Ein Stück von Dennis Kelly
Deutsch von John Birke
Macht, Reichtum, Glück. – Gorge Mastromas ist ein unauffälliges Kind, durchschnittlich begabt, ohne besondere Talente. In Konfliktsituationen versucht er wider einen »besseren Instinkt« immer nach ethischen Paradigmen zu handeln. »Güte – oder Feigheit?«, mit dieser Frage wird Gorge Mastromas schon als Kind und Jugendlicher konfrontiert. Manchmal würde er am liebsten auf die Moral pfeifen, doch er bleibt immer integer. Schon in der Schule geht es los: Er hält zu seinem Freund, der gemobbt wird, und stürzt mit ihm in die untersten Regionen der sozialen Hackordnung ab.
Gorge bleibt anständig und zieht am Ende immer den Kürzeren. Sein Anstand bringt ihm nur Unglück und Misserfolg. Auch als junger Mann ist er nur einer unter den vielen Unsichtbaren in der grauen Masse der Mittelmäßigkeit. Bis ihm jemand die Augen öffnet und er die Chance ergreift. Gorge Mastromas lernt schnell. Nur Egoismus und gewissenloses Handeln bringen Erfolg. Aus dem »Gutmenschen« wird ein amoralischer Übermensch, der alsbald bei den Mächtigsten und Reichen mitspielt. Er wird zum Global-Player, der ganz oben seine Fäden zieht.
Dennis Kelly beschreibt spannend wie in einem Krimi den Werdegang eines Menschen, der durch die »Opferung« aller moralischen Grundsätze mitten in die Zentren der Macht gespült wird. Hier gelten andere Regeln: Seine Maximen sind von nun an Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit. Ein Paradoxon, das funktioniert: Macht, Reichtum, Glück gehören nur dem, der bereit ist, über Leichen zu gehen.
mit: Patricia Coridun (Louisa), Victoria Voss (A (Managerin)), Ulrich Kielhorn (M (Firmenchef)), Jörn Kolpe (Pete), Richard Putzinger (Sol), Matthias Zajgier (G (Gorge Mastromas))
- Regie:
- Jochen Schölch
- Bühne:
- Fabian Lüdicke
- Kostüme:
- Andrea Fisser
- Dramaturgie:
- Gabriele Rebholz
- Regieassistenz:
- Hannah Lau
- Inspizienz:
- Eleonore Schilha
- Soufflage:
- Ulrike Deschler
Premiere am
Kleines Haus
»Es gibt keine Gerechtigkeit. Belohnt werden nur die zutiefst Amoralischen. Gutsein zahlt sich nicht aus. Nur gnadenloser Egoismus und ein frivoles Lügengebäude führen zum Erfolg.
Die Moral dieser Geschichte, ›Die Opferung des Gorge Mastromas‹ könnte ziemlich trivial sein, würde sie der preisgekrönte Autor Dennis Kelly nicht so raffiniert aus wechselnden Perspektiven zwischen süffisant kommentierenden, eindringlich fragenden Erzählertexten und dramatischen Szenen entwickeln. Und trotzdem ist dieses erst vor 2 Jahren bei den Ruhrfestspielen uraufgeführte Theaterstück ein schwerer Brocken, der uns den Sozialdarwinismus schonungslos vor Augen führt. (...)
Ist es Güte oder Feigheit, als Gorge den Looser-Freund nicht fallenlässt, obwohl er damit im Ansehen der anderen ebenso absteigt? Ist es Güte oder Feigheit, die Chance nicht zu ergreifen, endlich dem seit langem angeschwärmten Mädchen nahezukommen, bloß weil Gorge gerade einer anderen halbherzig alles mögliche versprochen hat. ›Ist es Güte oder Feigheit?‹, fragt der Autor Dennis Kelly die Zuschauer immer wieder ganz direkt.
Die erste Hälfte von Gorge Mastromas Leben ist so mittelmäßig, dass der Autor keine dramatische Szene, keine Dialogsituation auf dessen Jugend verschwendet, sondern alles von einem Erzähler berichten und kommentiert lässt.
Regisseur Jochen Schölch verteilt den langen Monolog glücklicherweise auf alle sechs Darsteller, die sich in einer virtuosen Textperformance durchaus mit Witz ins Wort fallen, verständnisvolle oder ironische Positionen einnehmen und ganz allmählich plastisch hervortreten und zu den Akteuren des Spiels werden. Noch fehlen alle Requisiten, telefonieren oder ein Glas Wasser reichen wird pantomimisch dargestellt, erst mit der Zunahme der dramatischen Szenen füllen Requisiten die zunächst bis auf 6 Hocker leere Bühne.
Diese Entwicklung vom Epischen zum Dramatischen, von der Zwei- in die Dreidimensionalität ist großartig inszeniert.
Richtig spannend wird der Abend aber erst, wenn das Theater Raum gewinnt und das Private beginnt. Denn die perfidesten Lügengebäude türmen sich schließlich nicht im gnadenlosen Kampf des Stärkeren gegen den Schwächeren im Spiel der Großkonzerne, sondern im Persönlichen auf. (...)
Der Aufführung hätten einige Striche gutgetan. Aber sie überzeugt durch ein unglaublich starkes Ensemble. Matthias Zajgier zeigt die Meisterschaft der Titelfigur, gemäß einer der drei goldenen Handlungsmaximen der Erfolgreichen, ›aus tiefstem Herzen‹ zu lügen. Chamäleonartig wechselt er in den Auseinandersetzungen mit seinem Bruder oder seiner Frau die Taktiken und Strategien zwischen Verführung, kumpelhaftem Verständnis, verharmlosendem Charme und despotischer Allmacht. Und mit wenigen Veränderungen durch Struppelhaar und verwahrlostem Outfit spielt er in der letzten Szene den gealterten, vereinsamten, freudlosen aber noch immer mächtigen Gorge, fast wie ein König Lear, der alles dem Erfolg geopfert, aber nichts begriffen hat.
Auch Victoria Voss als eiskalt freundliche Managerin, Patricia Coridun als Gorges leidenschaftlich leidende Frau, Ulrich Kielhorn als tragikomischer Verlierer des Unternehmenspokers und süffisanter Kommentator, Richard Putzinger als Schwächling, der fast eine Chance gegen den stärkeren Bruder hätte, würde er dann nicht doch brüderlicher Gutherzigkeit erliegen und Jörn Kolpe als unpathetischer Hoffnungsträger sind differenziert gezeichnete Charaktere.
Und für die Zukunftsvision der Schlussszene haben sich Ausstatter Fabian Lüdicke und Regisseur Jochen Schölch noch ein schönes Endzeitbild für eine Aufführung einfallen lassen, die ganz minimalistisch mit einem langen Erzählertext beginnt.
Großer Applaus und sogar Jubel für eine gut gemachte Aufführung eines diskussionswürdigen Theaterstücks.«
»Gorge beherzigt drei Regeln. Erstens: Wenn du etwas willst, nimm es dir. Zweitens: Lüge dafür aus tiefstem Herzen. Drittens: Rechne immer damit aufzufliegen, ›und bereue nichts, niemals, nie‹.
Nein, dieser Gorge ist kein netter Kerl. Durch Lug und Trug ist die Hauptfigur aus Dennis Kellys Stück ›Die Opferung von Gorge Mastromas‹ zu Macht und Reichtum gekommen. Dabei sah das am Anfang noch ganz anders aus, wie Jochen Schölch in seiner Inszenierung am Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt chronologisch aufdröselt: Als Kind hatte sich Gorge mit Schuldgefühlen geplagt und war trotz aller Hänseleien einem fetten Freund treu geblieben; als Jugendlicher traute er sich nicht mal, die begehrte Vanessa zu küssen, weil er schon der faden Sarah seine Liebe geschworen hatte. ›Güte oder Feigheit?‹ befragen sechs grau gewandete Schauspieler dazu süffisant das Publikum; sie wechseln auf der fast leeren Bühne ständig die Rollen, spielen abwechselnd eine Szene vor und treten dann wieder in den kommentierenden Chor zurück.
Die Jugendszenen geraten dabei noch schwungvoll und witzig; als Gorge erwachsen wird, zieht jedoch auch in die Inszenierung Behäbigkeit ein. Das liegt nicht an den Schauspielern, die – insbesondere Matthias Zajgier als Gorge – ihr Bestes tun, um dem Stück Leben einzuhauchen. Eher schon liegt es am schlichten Grundmuster des 2012 uraufgeführten Werks, das Gorge nach einem Erweckungserlebnis zum menschenverachtenden Unternehmer mutieren lässt. T(...)»