Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe
Ein großes historisches Ritterschauspiel von Heinrich von Kleist
Jeder hat ein Anrecht auf Glück, solange es nicht das Glück anderer beschädigt. – Wie so oft in Kleists Werk steht auch im »Käthchen von Heilbronn« eine unmögliche Liebe im Zentrum. Das Käthchen sei, so der Dichter, »die Kehrseite der Penthesilea«, ihr anderer Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingabe wie jene durch Handeln. Penthesilea tötet ihren Geliebten, weil sie sich nicht unterwerfen will, Käthchen verfolgt den ihrigen mit bedingungsloser Unterwerfung.
Alles beginnt mit einem Traum. Darin prophezeit ein Engel dem fünfzehnjährigen Käthchen den Grafen Wetter vom Strahl als Geliebten. Von nun an weicht sie nicht von seiner Seite, verfolgt ihn und beharrt auf ihrer Liebe, auch dann noch, als sie mit Kränkungen und Drohungen erniedrigt wird und der Graf vom Strahl die Peitsche gegen sie erhebt. Ist das »Käthchen« ein Grenzfall? Ihre Symptome ein Zeichen für pubertäre Schwärmerei und weiblichen Masochismus oder ein Beispiel für das neuerdings populäre Stalking?
Auch der Graf hat einen Traum. Ihm verkündet ein Engel, dass er die Kaisertochter heiraten werde. In Kunigunde von Thurneck sieht er diese Prophezeiung erfüllt. Im Gegensatz zu Käthchen ist sie emanzipiert, karrierebewusst und intrigant zugleich. Sie scheut sich nicht, ihre weiblichen Reize einzusetzen, wenn’s dem Zwecke dient. So hat sie der »Natur« etwas nachgeholfen: Ihre Schönheit und Jugend ist ein Produkt kosmetischer Chirurgie. Kunigunde erkennt in Käthchen eine ernstzunehmende Rivalin und schreckt auch vor einem Mord nicht zurück, um diese aus dem Weg zu schaffen. Doch durch den Zugriff des Himmlischen wird Käthchen gerettet und erweist sich schließlich als leibliche Tochter des Kaisers. Der Hochzeit mit dem Grafen steht nun nichts mehr im Wege.
Das glückliche Ende kann jedoch nicht über die Gewalt hinwegtäuschen, die die Figuren einander antun. Wie kein anderer seiner Zeit erfindet Kleist Szenarien der Grausamkeit, die die scheinbare Idylle seines »Ritterspiels« unterwandern. Hinter der Liebe entdeckt Kleist die Grausamkeit und hinter der Grausamkeit die Liebe.
mit: Denise Matthey (Käthchen), Anjo Czernich (Graf Wetter vom Strahl), Ingrid Cannonier (Kunigunde von Thurneck), Béla Milan Uhrlau (Cherubim), Rolf Germeroth (Chor der Ritter und Burgfräulein), Stefan Leonhardsberger, Thomas Schrimm
- Regie:
- Marco Štorman
- Musik:
- Thomas Seher
- Bühne:
- Anna Rudolph
- Kostüm:
- Anika Marquardt
- Dramaturgie:
- Donald Berkenhoff
- Regieassistenz:
- Hannah Lau
- Inspizienz:
- Eleonore Schilha
- Soufflage:
- Ulrike Deschler
Premiere am
Großes Haus
»Nur im Märchen entpuppt sich ein Käthchen, die Tochter einesWaffenschmieds in Heilbronn, als uneheliche Tochter des Kaisers. Nur in der Legende errettet ein Engel das Mädchen unversehrt aus dem Feuer einer brennenden Burg. Nur im Traum erscheinen Engel und zeigen die Zukunft, und nur im Traum löst sich ein Ritter vom Strahl von seiner standesgemäßen Karriere durch Krieg, Besitzmehrung, Vernunftehe und wendet sich der Empfindung, also dem Käthchen zu. In der Wirklichkeit hat sich Heinrich von Kleist, dem seine familiär vorbestimmte Soldatenlaufbahn und der Staatsdienst zuwider waren, gemeinsam mit seiner Geliebten mit ›Freude und unaussprechlicher Heiterkeit‹ das Leben genommen, weil ihm ›auf Erden nicht zu helfen war‹.
Und so endet Kleists Happy-End in dieser Inszenierung des ›Käthchens von Heilbronn‹ am Stadttheaters Ingolstadt nicht mit dem Hochzeitszug, sondern wie der Doppelselbstmord am Wannsee. Käthchen und Wetter vom Strahl rufen sich heiter Koseworte zu, die Pistolen in der Hand. Der Vorhang schließt sich. Zwei Schüsse fallen. Und der Chor der hilfreichen Geister singt aus Eichendorffs ›Mondnacht‹ ›und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus... als flöge sie nach Haus‹. Regisseur Marco Storman entführt in dieser außergewöhnlichen Aufführung in den naiven Zauber eines wundersamen Theater-Märchens, in dem die tragischen Konflikte zwischen Pflicht und Neigung ein wenig kurios und so unlogisch und doch so wahr in der Empfindung sind wie ein Traum, der weit in den Tag hinein nachwirkt.
Dazu schickt Storman den Cherubim und eine komödiantisch verspielte Chaotentruppe hilfreicher Geister als Spielführer ins Geschehen. Sie übernehmen die etwa 2 Dutzend Rollen von Rittern, Dienern, Edelfräulein und Mägden, die gerade gebraucht werden, und spielen auch mal Hund oder Pferd, sie machen Geräusche der Nacht und sprechen die Texte der Protagonisten nach und mit, sie schleppen Blumenschablonen für die Verliebten auf die Bühne, illustrieren mit Regenschirmen die Unwetternacht und blasen aus Nebelmaschinen den Rauch für die brennende Burg aus dem Glitzervorhang.
Auch die Souffleuse Ulrike Deschler ist mit ihrem Textbuch in diese schräge Helfertruppe integriert, steht in einer Schneekugel von Heilbronn mit auf der Bühne und spielt munter mit, zuletzt als herrlich ironische Brechung des ›Deus ex machina‹ auch den Kaiser, der von lustigen Faschingsnarren umjubelt wird. Denn diese Aufführung atmet eine große Lust am Theaterspiel mit ein wenig Show und buntem Firlefanz, mit einem überdimensionalem Brief und comichaften Trippelschritten, mit Mikrofonen für Songs und Geflüster, mit einer Livekamera für Käthchen in Großaufnahme oder auf einem Bildschirm, den Wetter vom Strahl umarmt.
Die Bühne von Anna Rudolph ist als Bühne auf der Bühne ein Holzgerüst mit schwarzem Glitzervorhang und gleichzeitig begehbarer Burgturm. Die Musik von Thomas Seher und die Kostüme von Anika Marquardt unterstreichen die spielerische Lust an allen verfügbaren szenischen Mitteln für einen Märchentraum, bis nach dem Brand der Burg die graue leere Bühne als Ort der Ernüchterung und Selbstbesinnung übrig bleibt. In seiner kongenialen Textfassung hat Regisseur Marco Storman das 5aktige ›Große historische Ritterschauspiel‹ mit seinen enormen Textmengen auf 90 Minuten gestrafft. Und er wechselt dabei immer wieder die Erzählperspektiven, lässt erzählen und kommentieren, sodass weder Pathos noch Schwulst oder unfreiwillige Komik aufkommen können. Stattdessen durchzieht die Aufführung eine große Leichtigkeit und Heiterkeit. Das fängt bereits damit an, dass nicht ein zutiefst getroffener und wütender Vater den vermeintlichen Verhexer und Verführer seiner Tochter in einem düsteren Femegericht auf Tod und Leben angeklagt, sondern Bela Milan Uhrlau, der Cherubim, beginnt mit einem heiteren Lachen und erzählt als Vater Theobald die Geschichte wie ein fröhlicher Märchenerzähler, der Kuriositäten aus längst vergangenen Zeiten zum Besten gibt. Ein bisschen verschmitzt und sehr liebevoll. Diese schöne Lockerheit und Sanftmut einer überirdischen Distanz behält er den ganzen Abend gegenüber seinem Schützling bei. Und auch Anjo Czernich als Wetter vom Strahl erinnert sich amüsiert zurück an eine längst milde gewordene Erinnerung oder einen wundersamen Traum.
Hervorragend, mit welcher Lockerheit sich die beiden mit kleinen Aparts und Zwischenbemerkungen die Bälle zuspielen. Wenn Strahl sich an seine Pflichten als Ritter erinnert, sich selbst diszipliniert, salutiert er soldatisch. Gibt er seinem Empfinden nach,kuschelt er sich als romantischer Träumer auf den Boden... Und auch Käthchens Hartnäckigkeit, mit der sie ihren Traum-Mann verfolgt, spielt Denise Matthey mit einer gelassenen, unerschütterlichen Gewissheit, die sie über alle Dramatik lächeln lässt. Kunigunde, die berechnende Antipodin, ist in Ingrid Cannoniers Darstellung eine faszinierende Erscheinung aus verkorkster Filmdiva und Femme fatale, die dann, nach der Feuersbrunst, ergreifend puristisch ihre Giftmordgelüste anstatt auf Käthchen auf sich selbst richtet. Das ganze Ensemble mit Thomas Schrimm, Enrico Spohn und Rolf Germeroth als hilfreichen Geistern agiert mit verspielter Lockerheit und hoher Differenziertheit im Umgang mit Kleists Text. Es mag sein, dass diese Aufführung auch polarisiert, weil sie vielleicht nicht jedermanns Erwartungshaltung an Kleists ›Großes historisches Ritterschauspiel‹ entspricht. Aber sie zieht in den Sog eines wundersam heiteren Märchens. Und diese Aufführung spricht von einer begeisterten Liebe zum Theater und auf eine ganz ungewöhnliche Weise auch zu Heinrich von Kleist.«
»Regisseur Marco Stormann hat in Ingolstadt aus Heinrich von Kleists ›Käthchen von Heilbronn‹ ein unwirklich wirkendes Traumgebilde im Märchengewand gemacht. Damit hat er eine der eindrucksvollsten Inszenierungen der Saison hingelegt – und zugleich Kleists Sprache wundersam befreit.
Schon der Blick auf die Bühne zeigt Kleists Welt als kunstvolles Spielmodell: Anna Rudolph hat ins Zentrum der Bühne eine schiefe Hütte mit Glitzervorhang und Glühbirnenkette gestellt; außenrum ist der Boden voll vom Sand der Manege. In dieser schon ein wenig zerbröselt wirkenden Varietélandschaft tummelt sich ein Grüppchen eigenartiger Wesen: ein Engeltrio (Rolf Germeroth, Thomas Schrimm, Enrico Spohn), ein leicht somnambul wirkendes Käthchen (Denise Matthey), ein in seiner Ritterlichkeit immer leicht ridikül ritterlicher Graf Wetter vom Strahl (Anjo Czernich), eine Kunigunde von Thurneck, die wie eine Stummfilmpuppe einer Schachtel entsteigt (Ingrid Cannonier), eine mitspielende Souffleuse in Zirkusuniform (Ulrike Deschler) und Béla Milan Uhrlau als über all die von Kleist dargestellten menschlichen Irrungen und Wirrungen permanent grinsender Cherubim, der als Mischung aus gut
gelauntem Erzähler und männlicher Fee die Handlung vorwärtstreibt.
Eine fantastische Umsetzung voll Fantasie. Käthchen und Wetter haben jeweils kürzlich von ihrer zukünftigen Liebe geträumt, suchen sie und finden sich zuletzt. Aber erst nach allerlei blitzsauberem, buntem und putzmunterem Kuddelmuddel. Stormann hat die Traumsequenzen als Ausgangspunkt genommen und die ganze Kleist-Erzählung zum surrealen Bühnenmärchen umgemodelt, was dem Text erstaunlich gut tut. Leicht und kompakt zugleich – die Inszenierung dauert nur 90 Minuten –, lässt die Geschichte alle potentielle sprachliche Schwerlast hinter sich und hebt ohne Umschweife ab. Ins Unwirkliche verfrachtet, wirkt Kleists Pathos plötzlich wie ein natürlicher Sprachzustand.
Dieses Käthchen ist ebenso heiter stimmend wie zauberhaft berührend. Manchmal wird eine zweite Ebene eingezogen, die Handlung etwa bei der Feuerprobe per Video auf Leinwand übertragen. Das ist nicht eben neu, aber wenn man eine dermaßen ausdrucksstarke Schauspielerin wie Denise Matthey im
Ensemble hat, potenziert sich deren Wucht dadurch nur noch. »